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Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906.

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zuzudecken. Während des Frostes, wenn sie nicht genug Wasser haben konnte, schlug sie das Eis in ihrer Zelle auf und wusch sich mit dem darunter befindlichen Wasser die Füsse und den ganzen Körper. Sie ass alles, was sie am Boden fand, Stroh, Brotkrumen, Abfälle, sie trank am liebsten Spülwasser, und dennoch lebte sie in dieser Weise fast fünfundzwanzig Jahre lang im Irrenhaus. Wie könnte ein von Krankheit zerstörter Körper diese Lebensweise ein Vierteljahrhundert aushalten. Um diesen schädlichen Einflüssen so lange standhalten zu können, dazu bedurfte es einer eisernen physischen Gesundheit. Und die musste sie wohl nach all dem besessen haben.

Als Theroigne de Mericourt ihre Selbstbiographie hinter den Festungsmauern von Kufstein niederschrieb, geschah es, um das mündliche Verhör zu vereinfachen; sie dachte dabei nicht an die Nachwelt, nicht an ihren Nachruhm, nicht an die Verleumdungen. Wie konnte sie nur einen Augenblick denken, dass die armseligen, mit Bleistift geschriebenen Blätter so sorgfältig aufgehoben werden würden. Das kam ihr gewiss nicht in den Sinn. Ihr war damals nur darum zu tun, ihre Freiheit wieder zu erlangen und den Beweis zu erbringen, dass sie weder Marie Antoinette nach dem Leben getrachtet, noch sich des Hochverrates schuldig gemacht habe.

Um so mehr kann man allen ihren Daten Glauben schenken und der Aufzeichnung ihrer Erlebnisse mehr Vertrauen entgegenbringen, als den phantasiereichen Erfindungen ihrer Zeitgenossen und ihrer vielen Feinde.

Man wird ihre biographischen Aufzeichnungen nicht ohne Rührung und Bewunderung lesen. Welche Liebe und welcher Zartsinn ist darin enthalten. Wie originell und schön weiss sie darzustellen, wie ist ihre Sprache urwüchsig, trotzdem sie so wenig gelernt hatte, sie, die ihre Jugendjahre in schwerer Arbeit und Pein, statt mit Lernen verbringen musste.

Mag der Leser sich ihrem Schicksal ebenso geneigt

zuzudecken. Während des Frostes, wenn sie nicht genug Wasser haben konnte, schlug sie das Eis in ihrer Zelle auf und wusch sich mit dem darunter befindlichen Wasser die Füsse und den ganzen Körper. Sie ass alles, was sie am Boden fand, Stroh, Brotkrumen, Abfälle, sie trank am liebsten Spülwasser, und dennoch lebte sie in dieser Weise fast fünfundzwanzig Jahre lang im Irrenhaus. Wie könnte ein von Krankheit zerstörter Körper diese Lebensweise ein Vierteljahrhundert aushalten. Um diesen schädlichen Einflüssen so lange standhalten zu können, dazu bedurfte es einer eisernen physischen Gesundheit. Und die musste sie wohl nach all dem besessen haben.

Als Théroigne de Méricourt ihre Selbstbiographie hinter den Festungsmauern von Kufstein niederschrieb, geschah es, um das mündliche Verhör zu vereinfachen; sie dachte dabei nicht an die Nachwelt, nicht an ihren Nachruhm, nicht an die Verleumdungen. Wie konnte sie nur einen Augenblick denken, dass die armseligen, mit Bleistift geschriebenen Blätter so sorgfältig aufgehoben werden würden. Das kam ihr gewiss nicht in den Sinn. Ihr war damals nur darum zu tun, ihre Freiheit wieder zu erlangen und den Beweis zu erbringen, dass sie weder Marie Antoinette nach dem Leben getrachtet, noch sich des Hochverrates schuldig gemacht habe.

Um so mehr kann man allen ihren Daten Glauben schenken und der Aufzeichnung ihrer Erlebnisse mehr Vertrauen entgegenbringen, als den phantasiereichen Erfindungen ihrer Zeitgenossen und ihrer vielen Feinde.

Man wird ihre biographischen Aufzeichnungen nicht ohne Rührung und Bewunderung lesen. Welche Liebe und welcher Zartsinn ist darin enthalten. Wie originell und schön weiss sie darzustellen, wie ist ihre Sprache urwüchsig, trotzdem sie so wenig gelernt hatte, sie, die ihre Jugendjahre in schwerer Arbeit und Pein, statt mit Lernen verbringen musste.

Mag der Leser sich ihrem Schicksal ebenso geneigt

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[XIII/0014] zuzudecken. Während des Frostes, wenn sie nicht genug Wasser haben konnte, schlug sie das Eis in ihrer Zelle auf und wusch sich mit dem darunter befindlichen Wasser die Füsse und den ganzen Körper. Sie ass alles, was sie am Boden fand, Stroh, Brotkrumen, Abfälle, sie trank am liebsten Spülwasser, und dennoch lebte sie in dieser Weise fast fünfundzwanzig Jahre lang im Irrenhaus. Wie könnte ein von Krankheit zerstörter Körper diese Lebensweise ein Vierteljahrhundert aushalten. Um diesen schädlichen Einflüssen so lange standhalten zu können, dazu bedurfte es einer eisernen physischen Gesundheit. Und die musste sie wohl nach all dem besessen haben. Als Théroigne de Méricourt ihre Selbstbiographie hinter den Festungsmauern von Kufstein niederschrieb, geschah es, um das mündliche Verhör zu vereinfachen; sie dachte dabei nicht an die Nachwelt, nicht an ihren Nachruhm, nicht an die Verleumdungen. Wie konnte sie nur einen Augenblick denken, dass die armseligen, mit Bleistift geschriebenen Blätter so sorgfältig aufgehoben werden würden. Das kam ihr gewiss nicht in den Sinn. Ihr war damals nur darum zu tun, ihre Freiheit wieder zu erlangen und den Beweis zu erbringen, dass sie weder Marie Antoinette nach dem Leben getrachtet, noch sich des Hochverrates schuldig gemacht habe. Um so mehr kann man allen ihren Daten Glauben schenken und der Aufzeichnung ihrer Erlebnisse mehr Vertrauen entgegenbringen, als den phantasiereichen Erfindungen ihrer Zeitgenossen und ihrer vielen Feinde. Man wird ihre biographischen Aufzeichnungen nicht ohne Rührung und Bewunderung lesen. Welche Liebe und welcher Zartsinn ist darin enthalten. Wie originell und schön weiss sie darzustellen, wie ist ihre Sprache urwüchsig, trotzdem sie so wenig gelernt hatte, sie, die ihre Jugendjahre in schwerer Arbeit und Pein, statt mit Lernen verbringen musste. Mag der Leser sich ihrem Schicksal ebenso geneigt

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Zitationshilfe: Adler, Emma: Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795. Wien, 1906, S. XIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_frauen_1906/14>, abgerufen am 29.03.2024.