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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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wertigkeit des zugehörigen Anteiles des Zentralnervensystems gesellt.
Bei der Hypochondrie, der Hysterie, der Angst- und Zwangsneurose
nun trifft dieser Fall zu, wie wir im nächsten Kapitel nachzuweisen
versuchen werden. Schwerer dürfte es gelingen, in den Zusammenhang
beider Minderwertigkeiten einzudringen, wo es sich um Epilepsie oder
psychische Erkrankung, Paranoia, Demenz, Manie etc. handelt. Psy-
chosen, die sich im Anschlusse an Intoxikationen, fieberhafte Erkran-
kungen, Diabetes, Nephritis, Tuberkulose einstellen, gehören sicherlich
ebenso in den Rahmen dieser Untersuchung, wie die oft betonten Zu-
sammenhänge zwischen Epilepsie einerseits und Erkrankungen des
Darmapparates, Kreislaufes oder Harnorganes andrerseits.

Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß die Auffindung einer
Organminderwertigkeit angesichts der Häufigkeit mehrfacher Insuffi-
zienzen uns die Verpflichtung auferlegt, nach weiteren minderwertigen
Organen zu forschen.

VI. Die Rolle des Zentralnervensystems in der Organ-
Minderwertigkeitslehre -- Psychogenese und Grundlagen
der Neurosen und Neuropsychosen.

Hier sollen einige Betrachtungen angeschlossen werden, die sich
aus unserer Studie nahezu von selbst ergeben. Wir werden nur dem
Sinne unserer bisherigen Auffassung gerecht, wenn wir aus der Unter-
suchung der minderwertigen Organe weder das Rückenmark noch das
Gehirn ausschließen. Ja, es muß sogar hervorgehoben werden, daß sich
die bereits charakterisierte Gleichzeitigkeit mehrfacher Organminder-
wertigkeit auch auf einzelne Anteile, Nervenbahnen des Zentralnerven-
systems erstreckt und daß sehr häufig der Wertigkeit jedes Organes
eine von Natur aus proportionale Wertigkeit derjenigen Nervenbahnen
entspricht, die mit dem zugehörigen Organ in Verbindung stehen, von
ihm ihre Erregungen beziehen und ihre Impulse zu ihm leiten. Frei-
lich, ein durchaus gesetzmäßiges Verhalten ist nicht zu erwarten. Die
Minderwertigkeit kann sich dauernd auf ihrem Niveau halten, kann
auch bloß auf das Organ oder einzelne seiner Teile beschränkt bleiben.
Oder die Anforderungen des Lebens, der Domestikation, der Kultur,
bringen eine Überkompensation hervor, die sich vor allem -- seine
Suffizienz vorausgesetzt -- am Zentralnervensystem durchsetzen wird.
Die quantitativen Unterschiede, die sich dabei durch den Grad der
Minderwertigkeit, durch ihre Lokalisation, durch den Grad der Kom-
pensation ergeben, können, von der psychologischen Seite betrachtet,

wertigkeit des zugehörigen Anteiles des Zentralnervensystems gesellt.
Bei der Hypochondrie, der Hysterie, der Angst- und Zwangsneurose
nun trifft dieser Fall zu, wie wir im nächsten Kapitel nachzuweisen
versuchen werden. Schwerer dürfte es gelingen, in den Zusammenhang
beider Minderwertigkeiten einzudringen, wo es sich um Epilepsie oder
psychische Erkrankung, Paranoia, Demenz, Manie etc. handelt. Psy-
chosen, die sich im Anschlusse an Intoxikationen, fieberhafte Erkran-
kungen, Diabetes, Nephritis, Tuberkulose einstellen, gehören sicherlich
ebenso in den Rahmen dieser Untersuchung, wie die oft betonten Zu-
sammenhänge zwischen Epilepsie einerseits und Erkrankungen des
Darmapparates, Kreislaufes oder Harnorganes andrerseits.

Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß die Auffindung einer
Organminderwertigkeit angesichts der Häufigkeit mehrfacher Insuffi-
zienzen uns die Verpflichtung auferlegt, nach weiteren minderwertigen
Organen zu forschen.

VI. Die Rolle des Zentralnervensystems in der Organ-
Minderwertigkeitslehre — Psychogenese und Grundlagen
der Neurosen und Neuropsychosen.

Hier sollen einige Betrachtungen angeschlossen werden, die sich
aus unserer Studie nahezu von selbst ergeben. Wir werden nur dem
Sinne unserer bisherigen Auffassung gerecht, wenn wir aus der Unter-
suchung der minderwertigen Organe weder das Rückenmark noch das
Gehirn ausschließen. Ja, es muß sogar hervorgehoben werden, daß sich
die bereits charakterisierte Gleichzeitigkeit mehrfacher Organminder-
wertigkeit auch auf einzelne Anteile, Nervenbahnen des Zentralnerven-
systems erstreckt und daß sehr häufig der Wertigkeit jedes Organes
eine von Natur aus proportionale Wertigkeit derjenigen Nervenbahnen
entspricht, die mit dem zugehörigen Organ in Verbindung stehen, von
ihm ihre Erregungen beziehen und ihre Impulse zu ihm leiten. Frei-
lich, ein durchaus gesetzmäßiges Verhalten ist nicht zu erwarten. Die
Minderwertigkeit kann sich dauernd auf ihrem Niveau halten, kann
auch bloß auf das Organ oder einzelne seiner Teile beschränkt bleiben.
Oder die Anforderungen des Lebens, der Domestikation, der Kultur,
bringen eine Überkompensation hervor, die sich vor allem — seine
Suffizienz vorausgesetzt — am Zentralnervensystem durchsetzen wird.
Die quantitativen Unterschiede, die sich dabei durch den Grad der
Minderwertigkeit, durch ihre Lokalisation, durch den Grad der Kom-
pensation ergeben, können, von der psychologischen Seite betrachtet,

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[61/0073] wertigkeit des zugehörigen Anteiles des Zentralnervensystems gesellt. Bei der Hypochondrie, der Hysterie, der Angst- und Zwangsneurose nun trifft dieser Fall zu, wie wir im nächsten Kapitel nachzuweisen versuchen werden. Schwerer dürfte es gelingen, in den Zusammenhang beider Minderwertigkeiten einzudringen, wo es sich um Epilepsie oder psychische Erkrankung, Paranoia, Demenz, Manie etc. handelt. Psy- chosen, die sich im Anschlusse an Intoxikationen, fieberhafte Erkran- kungen, Diabetes, Nephritis, Tuberkulose einstellen, gehören sicherlich ebenso in den Rahmen dieser Untersuchung, wie die oft betonten Zu- sammenhänge zwischen Epilepsie einerseits und Erkrankungen des Darmapparates, Kreislaufes oder Harnorganes andrerseits. Schließlich möchte ich noch erwähnen, daß die Auffindung einer Organminderwertigkeit angesichts der Häufigkeit mehrfacher Insuffi- zienzen uns die Verpflichtung auferlegt, nach weiteren minderwertigen Organen zu forschen. VI. Die Rolle des Zentralnervensystems in der Organ- Minderwertigkeitslehre — Psychogenese und Grundlagen der Neurosen und Neuropsychosen. Hier sollen einige Betrachtungen angeschlossen werden, die sich aus unserer Studie nahezu von selbst ergeben. Wir werden nur dem Sinne unserer bisherigen Auffassung gerecht, wenn wir aus der Unter- suchung der minderwertigen Organe weder das Rückenmark noch das Gehirn ausschließen. Ja, es muß sogar hervorgehoben werden, daß sich die bereits charakterisierte Gleichzeitigkeit mehrfacher Organminder- wertigkeit auch auf einzelne Anteile, Nervenbahnen des Zentralnerven- systems erstreckt und daß sehr häufig der Wertigkeit jedes Organes eine von Natur aus proportionale Wertigkeit derjenigen Nervenbahnen entspricht, die mit dem zugehörigen Organ in Verbindung stehen, von ihm ihre Erregungen beziehen und ihre Impulse zu ihm leiten. Frei- lich, ein durchaus gesetzmäßiges Verhalten ist nicht zu erwarten. Die Minderwertigkeit kann sich dauernd auf ihrem Niveau halten, kann auch bloß auf das Organ oder einzelne seiner Teile beschränkt bleiben. Oder die Anforderungen des Lebens, der Domestikation, der Kultur, bringen eine Überkompensation hervor, die sich vor allem — seine Suffizienz vorausgesetzt — am Zentralnervensystem durchsetzen wird. Die quantitativen Unterschiede, die sich dabei durch den Grad der Minderwertigkeit, durch ihre Lokalisation, durch den Grad der Kom- pensation ergeben, können, von der psychologischen Seite betrachtet,

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/73>, abgerufen am 28.03.2024.