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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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genuinen Erkrankungen erwarten dürfen, an der Prostata, der Blase, den
Ureteren, den Nieren und der Harnröhre. Man wird aber auch Lokali-
sationen von Krankheiten, angeborene Anomalien, einen besonderen,
meist schweren Verlauf von Infektion und funktionelle Affektionen an-
treffen. Als besonders interessante Tatsachen möchte ich aus meinem
Material hervorheben Karzinom des Harnapparates, Schrumpfniere,
Scharlachnephritis und schweren Verlauf von Gonorrhöe bei Enuretikern
oder in deren Stammbaum.

Das zweite Minderwertigkeitszeichen, die Heredität, macht sich
schon bei der Enuresis selber hervorragend bemerkbar. Nicht weniger
allerdings auch durch Vertretung aller denkbaren Affektionen, Anomalien
und Stigmen an irgend einem Anteile des Harnapparates, wie schon
im obigen hervorgehoben wurde.

Auch die Degenerationszeichen, fälschlich oft als Ursachen der
Enuresis angesehen, werden wir häufig antreffen als peripherstes Phä-
nomen der Minderwertigkeit des Harnapparates. Allerdings auch des
Sexualorganes, das sich fast regelmäßig als in die Minderwertigkeit
miteingeschlossen erweist.

Bezüglich der Reflexanomalien ist auf den Sphinkterkrampf hin-
zuweisen, den man häufig auch bei gewesenen Enuretikern antrifft.
Fast ebenso häufig trifft man bei der Sondierung der Harnröhre einen
schlaffen, reaktionslosen Sphinkter externus, beides Anomalien, wie wir
sie bei Besprechung des Gaumenreflexes hervorgehoben haben. Das
Freudsche Symptom mancher Enuresisfälle, Adduktionskrampf der Ober-
schenkel bei brüskem Auseinanderzerren derselben, entspringt der Aus-
dehnung der Reflexzone des Sphinkters und steht in Analogie zur Würg-
bewegung bei gesteigertem Rachenreflex, die sich in manchen Fällen
durch Vordringen des Spatels hinter die Zahnreihe schon auslösen läßt.
Weiter sind hier noch anzuführen Harnstottern, Frösteln und Schüttel-
frost beim Urinieren, funktionelle Dysurie, Harnretention und Pollakiurie,
die man häufig bei gewesenen Enuretikern oder in ihrem Stammbaum
antrifft.

Der segmentalen Minderwertigkeit bei Enuretikern muß ich
großes Gewicht beilegen. Nicht so sehr den Hautanomalien, die sich
als Naevi oder Neurofibrome in der Höhe der Niere, in der Blasen-
gegend oder in der Schenkelbeuge oft vorfinden, sondern einer Minder-
wertigkeit, die oft den ganzen hinteren Rumpfabschnitt betrifft und sich
als primäre Schwäche in der Harn-, Stuhl- und Samenentleerung geltend
macht, die oft überwunden, auch überkompensiert werden kann und
offenbar mit einer Minderwertigkeit des Rückenmarkes von der Lenden-

genuinen Erkrankungen erwarten dürfen, an der Prostata, der Blase, den
Ureteren, den Nieren und der Harnröhre. Man wird aber auch Lokali-
sationen von Krankheiten, angeborene Anomalien, einen besonderen,
meist schweren Verlauf von Infektion und funktionelle Affektionen an-
treffen. Als besonders interessante Tatsachen möchte ich aus meinem
Material hervorheben Karzinom des Harnapparates, Schrumpfniere,
Scharlachnephritis und schweren Verlauf von Gonorrhöe bei Enuretikern
oder in deren Stammbaum.

Das zweite Minderwertigkeitszeichen, die Heredität, macht sich
schon bei der Enuresis selber hervorragend bemerkbar. Nicht weniger
allerdings auch durch Vertretung aller denkbaren Affektionen, Anomalien
und Stigmen an irgend einem Anteile des Harnapparates, wie schon
im obigen hervorgehoben wurde.

Auch die Degenerationszeichen, fälschlich oft als Ursachen der
Enuresis angesehen, werden wir häufig antreffen als peripherstes Phä-
nomen der Minderwertigkeit des Harnapparates. Allerdings auch des
Sexualorganes, das sich fast regelmäßig als in die Minderwertigkeit
miteingeschlossen erweist.

Bezüglich der Reflexanomalien ist auf den Sphinkterkrampf hin-
zuweisen, den man häufig auch bei gewesenen Enuretikern antrifft.
Fast ebenso häufig trifft man bei der Sondierung der Harnröhre einen
schlaffen, reaktionslosen Sphinkter externus, beides Anomalien, wie wir
sie bei Besprechung des Gaumenreflexes hervorgehoben haben. Das
Freudsche Symptom mancher Enuresisfälle, Adduktionskrampf der Ober-
schenkel bei brüskem Auseinanderzerren derselben, entspringt der Aus-
dehnung der Reflexzone des Sphinkters und steht in Analogie zur Würg-
bewegung bei gesteigertem Rachenreflex, die sich in manchen Fällen
durch Vordringen des Spatels hinter die Zahnreihe schon auslösen läßt.
Weiter sind hier noch anzuführen Harnstottern, Frösteln und Schüttel-
frost beim Urinieren, funktionelle Dysurie, Harnretention und Pollakiurie,
die man häufig bei gewesenen Enuretikern oder in ihrem Stammbaum
antrifft.

Der segmentalen Minderwertigkeit bei Enuretikern muß ich
großes Gewicht beilegen. Nicht so sehr den Hautanomalien, die sich
als Naevi oder Neurofibrome in der Höhe der Niere, in der Blasen-
gegend oder in der Schenkelbeuge oft vorfinden, sondern einer Minder-
wertigkeit, die oft den ganzen hinteren Rumpfabschnitt betrifft und sich
als primäre Schwäche in der Harn-, Stuhl- und Samenentleerung geltend
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[76/0088] genuinen Erkrankungen erwarten dürfen, an der Prostata, der Blase, den Ureteren, den Nieren und der Harnröhre. Man wird aber auch Lokali- sationen von Krankheiten, angeborene Anomalien, einen besonderen, meist schweren Verlauf von Infektion und funktionelle Affektionen an- treffen. Als besonders interessante Tatsachen möchte ich aus meinem Material hervorheben Karzinom des Harnapparates, Schrumpfniere, Scharlachnephritis und schweren Verlauf von Gonorrhöe bei Enuretikern oder in deren Stammbaum. Das zweite Minderwertigkeitszeichen, die Heredität, macht sich schon bei der Enuresis selber hervorragend bemerkbar. Nicht weniger allerdings auch durch Vertretung aller denkbaren Affektionen, Anomalien und Stigmen an irgend einem Anteile des Harnapparates, wie schon im obigen hervorgehoben wurde. Auch die Degenerationszeichen, fälschlich oft als Ursachen der Enuresis angesehen, werden wir häufig antreffen als peripherstes Phä- nomen der Minderwertigkeit des Harnapparates. Allerdings auch des Sexualorganes, das sich fast regelmäßig als in die Minderwertigkeit miteingeschlossen erweist. Bezüglich der Reflexanomalien ist auf den Sphinkterkrampf hin- zuweisen, den man häufig auch bei gewesenen Enuretikern antrifft. Fast ebenso häufig trifft man bei der Sondierung der Harnröhre einen schlaffen, reaktionslosen Sphinkter externus, beides Anomalien, wie wir sie bei Besprechung des Gaumenreflexes hervorgehoben haben. Das Freudsche Symptom mancher Enuresisfälle, Adduktionskrampf der Ober- schenkel bei brüskem Auseinanderzerren derselben, entspringt der Aus- dehnung der Reflexzone des Sphinkters und steht in Analogie zur Würg- bewegung bei gesteigertem Rachenreflex, die sich in manchen Fällen durch Vordringen des Spatels hinter die Zahnreihe schon auslösen läßt. Weiter sind hier noch anzuführen Harnstottern, Frösteln und Schüttel- frost beim Urinieren, funktionelle Dysurie, Harnretention und Pollakiurie, die man häufig bei gewesenen Enuretikern oder in ihrem Stammbaum antrifft. Der segmentalen Minderwertigkeit bei Enuretikern muß ich großes Gewicht beilegen. Nicht so sehr den Hautanomalien, die sich als Naevi oder Neurofibrome in der Höhe der Niere, in der Blasen- gegend oder in der Schenkelbeuge oft vorfinden, sondern einer Minder- wertigkeit, die oft den ganzen hinteren Rumpfabschnitt betrifft und sich als primäre Schwäche in der Harn-, Stuhl- und Samenentleerung geltend macht, die oft überwunden, auch überkompensiert werden kann und offenbar mit einer Minderwertigkeit des Rückenmarkes von der Lenden-

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/88>, abgerufen am 29.03.2024.