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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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meine Güte. Sie muß aus meinem Hause. Es
haben sich schon Viele gewundert, daß ich Sie noch
behielt. Aber Sie schlägt mit Ihrer Unverschämtheit
den Boden aus dem Faß. Versteht Sie mich! Ein
Glück noch, daß wir vom Viertelcommissar erfuhren,
daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten sonst
gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war."

"Wenn das die selige Frau Geheimräthin wüßte,
schluchzte das Mädchen, das war eine seelensgute
Frau. Und wie oft hat sie gesagt: wenn wir nicht
wären, mein Mann kümmert sich gar nicht um die
Kinder. Ja das hat sie gesagt, nicht einmal, hun¬
dert
Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch
nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben
aber sagten die selige Frau Geheimräthin: er hat kein
Herz für sie! und es war eine Frau, so sanft wie
die himmlische Güte, und viel zu gut für diese Welt,
und wer nur ihre stillen Thränen gesehen hat, die
sie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott
sie zu sich, und sie würde sich im Sarge umdrehn,
wenn sie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum
solchen Affront anthun."

Charlotte mußte die schwache Seite des Haus¬
herrn kennen. Er wandte sich um, und fuhr mit
dem Taschentuch über das Auge, ob, um eine Thräne
abzuwischen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß
ich ungesagt. An der Wand hing das Bild der
Verewigten, in sehr abgeblaßten Wasserfarben ge¬
mahlt, ein eben so abgeblaßter Immortellenkranz

meine Güte. Sie muß aus meinem Hauſe. Es
haben ſich ſchon Viele gewundert, daß ich Sie noch
behielt. Aber Sie ſchlägt mit Ihrer Unverſchämtheit
den Boden aus dem Faß. Verſteht Sie mich! Ein
Glück noch, daß wir vom Viertelcommiſſar erfuhren,
daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten ſonſt
gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“

„Wenn das die ſelige Frau Geheimräthin wüßte,
ſchluchzte das Mädchen, das war eine ſeelensgute
Frau. Und wie oft hat ſie geſagt: wenn wir nicht
wären, mein Mann kümmert ſich gar nicht um die
Kinder. Ja das hat ſie geſagt, nicht einmal, hun¬
dert
Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch
nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben
aber ſagten die ſelige Frau Geheimräthin: er hat kein
Herz für ſie! und es war eine Frau, ſo ſanft wie
die himmliſche Güte, und viel zu gut für dieſe Welt,
und wer nur ihre ſtillen Thränen geſehen hat, die
ſie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott
ſie zu ſich, und ſie würde ſich im Sarge umdrehn,
wenn ſie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum
ſolchen Affront anthun.“

Charlotte mußte die ſchwache Seite des Haus¬
herrn kennen. Er wandte ſich um, und fuhr mit
dem Taſchentuch über das Auge, ob, um eine Thräne
abzuwiſchen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß
ich ungeſagt. An der Wand hing das Bild der
Verewigten, in ſehr abgeblaßten Waſſerfarben ge¬
mahlt, ein eben ſo abgeblaßter Immortellenkranz

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[2/0016] meine Güte. Sie muß aus meinem Hauſe. Es haben ſich ſchon Viele gewundert, daß ich Sie noch behielt. Aber Sie ſchlägt mit Ihrer Unverſchämtheit den Boden aus dem Faß. Verſteht Sie mich! Ein Glück noch, daß wir vom Viertelcommiſſar erfuhren, daß Sie zur Execution hinaus war, wir hätten ſonſt gar nicht gewußt, wo Sie geblieben war.“ „Wenn das die ſelige Frau Geheimräthin wüßte, ſchluchzte das Mädchen, das war eine ſeelensgute Frau. Und wie oft hat ſie geſagt: wenn wir nicht wären, mein Mann kümmert ſich gar nicht um die Kinder. Ja das hat ſie geſagt, nicht einmal, hun¬ dert Mal. Und haben Herr Geheimrath jetzt auch nur einmal nach den Kindern gefragt? Das eben aber ſagten die ſelige Frau Geheimräthin: er hat kein Herz für ſie! und es war eine Frau, ſo ſanft wie die himmliſche Güte, und viel zu gut für dieſe Welt, und wer nur ihre ſtillen Thränen geſehen hat, die ſie Nachts vergoß, und darum nahm der liebe Gott ſie zu ſich, und ſie würde ſich im Sarge umdrehn, wenn ſie wüßte, daß Herr Geheimerath mir darum ſolchen Affront anthun.“ Charlotte mußte die ſchwache Seite des Haus¬ herrn kennen. Er wandte ſich um, und fuhr mit dem Taſchentuch über das Auge, ob, um eine Thräne abzuwiſchen oder die Verlegenheit zu verbergen, laß ich ungeſagt. An der Wand hing das Bild der Verewigten, in ſehr abgeblaßten Waſſerfarben ge¬ mahlt, ein eben ſo abgeblaßter Immortellenkranz

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/16>, abgerufen am 29.03.2024.