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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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Rückwege durchs Dorf zu reiten, "wo man sie doch wohl
wieder zu Gesicht kriegen wird." -- Sie sprengten fort.

Es war still, wie vorher. War's ein Traum!
dachte Walter, der sich hinter dem Strauche aufrich¬
tete und über die Stirn fuhr. Die eingeknickten
Aehren sprachen dagegen. Unfern von der Stelle,
wo er gelegen, lagen Kornblumen, die sich von einem
Strauß aufgelöst. "Das hatte sie an der Brust."
Er raffte die Blumen rasch auf. An einer halb ge¬
knickten Aehre flatterte ein blauseidenes Strumpfband.
"Das hat sie verloren." Er ergriff es und schlang
es um die Kornblumen zum Bouquet.

"Und die Thoren wollen sagen, es gebe keine
Romantik!"

Er blieb zaudernd stehen. Sollte er auch ins
Dorf. "Die Erscheinung war so schön, warum denn
die Wirklichkeit aufsuchen, welche in einem Augen¬
blick vielleicht den ganzen Zauber löst." Dazu erin¬
nerte er sich, daß er dem Geheimrath Lupinus ver¬
sprochen, ihm bei der Collationirung zweier Ma¬
nuscripte heut Abend zu helfen. Und Lupinus hatte
gesagt, daß er ihm einige Privatstunden verschaffen
zu können hoffe.

Walter schlug vergnügt den Rückweg ein. Er
war es, der bei Annäherung der Reiter das War¬
nungszeichen aus dem Busch gegeben, welches die
jungen Mädchen vor einer Scene bewahrt, in welcher
er unmöglich den stillen Lauscher spielen durfte. Aber
welche Rolle hätte er spielen sollen!



Rückwege durchs Dorf zu reiten, „wo man ſie doch wohl
wieder zu Geſicht kriegen wird.“ — Sie ſprengten fort.

Es war ſtill, wie vorher. War's ein Traum!
dachte Walter, der ſich hinter dem Strauche aufrich¬
tete und über die Stirn fuhr. Die eingeknickten
Aehren ſprachen dagegen. Unfern von der Stelle,
wo er gelegen, lagen Kornblumen, die ſich von einem
Strauß aufgelöſt. „Das hatte ſie an der Bruſt.“
Er raffte die Blumen raſch auf. An einer halb ge¬
knickten Aehre flatterte ein blauſeidenes Strumpfband.
„Das hat ſie verloren.“ Er ergriff es und ſchlang
es um die Kornblumen zum Bouquet.

„Und die Thoren wollen ſagen, es gebe keine
Romantik!“

Er blieb zaudernd ſtehen. Sollte er auch ins
Dorf. „Die Erſcheinung war ſo ſchön, warum denn
die Wirklichkeit aufſuchen, welche in einem Augen¬
blick vielleicht den ganzen Zauber löſt.“ Dazu erin¬
nerte er ſich, daß er dem Geheimrath Lupinus ver¬
ſprochen, ihm bei der Collationirung zweier Ma¬
nuſcripte heut Abend zu helfen. Und Lupinus hatte
geſagt, daß er ihm einige Privatſtunden verſchaffen
zu können hoffe.

Walter ſchlug vergnügt den Rückweg ein. Er
war es, der bei Annäherung der Reiter das War¬
nungszeichen aus dem Buſch gegeben, welches die
jungen Mädchen vor einer Scene bewahrt, in welcher
er unmöglich den ſtillen Lauſcher ſpielen durfte. Aber
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[182/0196] Rückwege durchs Dorf zu reiten, „wo man ſie doch wohl wieder zu Geſicht kriegen wird.“ — Sie ſprengten fort. Es war ſtill, wie vorher. War's ein Traum! dachte Walter, der ſich hinter dem Strauche aufrich¬ tete und über die Stirn fuhr. Die eingeknickten Aehren ſprachen dagegen. Unfern von der Stelle, wo er gelegen, lagen Kornblumen, die ſich von einem Strauß aufgelöſt. „Das hatte ſie an der Bruſt.“ Er raffte die Blumen raſch auf. An einer halb ge¬ knickten Aehre flatterte ein blauſeidenes Strumpfband. „Das hat ſie verloren.“ Er ergriff es und ſchlang es um die Kornblumen zum Bouquet. „Und die Thoren wollen ſagen, es gebe keine Romantik!“ Er blieb zaudernd ſtehen. Sollte er auch ins Dorf. „Die Erſcheinung war ſo ſchön, warum denn die Wirklichkeit aufſuchen, welche in einem Augen¬ blick vielleicht den ganzen Zauber löſt.“ Dazu erin¬ nerte er ſich, daß er dem Geheimrath Lupinus ver¬ ſprochen, ihm bei der Collationirung zweier Ma¬ nuſcripte heut Abend zu helfen. Und Lupinus hatte geſagt, daß er ihm einige Privatſtunden verſchaffen zu können hoffe. Walter ſchlug vergnügt den Rückweg ein. Er war es, der bei Annäherung der Reiter das War¬ nungszeichen aus dem Buſch gegeben, welches die jungen Mädchen vor einer Scene bewahrt, in welcher er unmöglich den ſtillen Lauſcher ſpielen durfte. Aber welche Rolle hätte er ſpielen ſollen!

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/196>, abgerufen am 25.04.2024.