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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852.

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bloßen Hals bedeckte, strickte eifrig. Sie strickte blau
wollene Strümpfe, und erzog ihre kleinen, die an
der Laube spielten. Wenn sie sich mit Sand warfen,
sollte sie den Streit schlichten, und doch dabei auch
auf die älteste Tochter horchen, die auf ihrem Knie
Vossens Louise ihr vorlesen mußte. Das Kind kam
mit den Hexametern selten zurecht und gähnte oft.

Der Minister richtete respirirend den Blick auf¬
wärts nach den reifenden Trauben am Laubendach.

"Du hast wohl recht schwer zu arbeiten, sagte
die Ministerin. Du solltest Dich schonen."

"Mir war es eben, als wäre ich noch in Flo¬
renz. So schwebten auch die Trauben von unsrer
Veranda. Und dieser Wiesenhauch! Als wehte es
von Fiesole her, und der Arno plätscherte unter mir."

"Ich weiß nicht, ob mir nicht dieser Heugeruch lie¬
ber ist als der Duft der Orangen. Ist es überhaupt
Recht, daß Du so oft dahin zurückdenkst? Solche
Vergleiche stören die Heiterkeit der Seele. Wir sind
doch ein Mal in diesem Lande, es ist auch hier schön,
und wir sind zufrieden und glücklich, und --"

"Und, fiel er ein, ihr die Hand reichend:

Süße heilige Natur
Laß uns gehn auf deiner Spur,
Leite uns an deiner Hand
Wie ein Kind am Gängelband."

Die Ministerin accompagnirte die Stollbergschen
Verse durch eine stumme Lippenbewegung, indem sie
andächtig in die Luft schaute. Dann zählte sie die

bloßen Hals bedeckte, ſtrickte eifrig. Sie ſtrickte blau
wollene Strümpfe, und erzog ihre kleinen, die an
der Laube ſpielten. Wenn ſie ſich mit Sand warfen,
ſollte ſie den Streit ſchlichten, und doch dabei auch
auf die älteſte Tochter horchen, die auf ihrem Knie
Voſſens Louiſe ihr vorleſen mußte. Das Kind kam
mit den Hexametern ſelten zurecht und gähnte oft.

Der Miniſter richtete reſpirirend den Blick auf¬
wärts nach den reifenden Trauben am Laubendach.

„Du haſt wohl recht ſchwer zu arbeiten, ſagte
die Miniſterin. Du ſollteſt Dich ſchonen.“

„Mir war es eben, als wäre ich noch in Flo¬
renz. So ſchwebten auch die Trauben von unſrer
Veranda. Und dieſer Wieſenhauch! Als wehte es
von Fieſole her, und der Arno plätſcherte unter mir.“

„Ich weiß nicht, ob mir nicht dieſer Heugeruch lie¬
ber iſt als der Duft der Orangen. Iſt es überhaupt
Recht, daß Du ſo oft dahin zurückdenkſt? Solche
Vergleiche ſtören die Heiterkeit der Seele. Wir ſind
doch ein Mal in dieſem Lande, es iſt auch hier ſchön,
und wir ſind zufrieden und glücklich, und —“

„Und, fiel er ein, ihr die Hand reichend:

Süße heilige Natur
Laß uns gehn auf deiner Spur,
Leite uns an deiner Hand
Wie ein Kind am Gängelband.“

Die Miniſterin accompagnirte die Stollbergſchen
Verſe durch eine ſtumme Lippenbewegung, indem ſie
andächtig in die Luft ſchaute. Dann zählte ſie die

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[216/0230] bloßen Hals bedeckte, ſtrickte eifrig. Sie ſtrickte blau wollene Strümpfe, und erzog ihre kleinen, die an der Laube ſpielten. Wenn ſie ſich mit Sand warfen, ſollte ſie den Streit ſchlichten, und doch dabei auch auf die älteſte Tochter horchen, die auf ihrem Knie Voſſens Louiſe ihr vorleſen mußte. Das Kind kam mit den Hexametern ſelten zurecht und gähnte oft. Der Miniſter richtete reſpirirend den Blick auf¬ wärts nach den reifenden Trauben am Laubendach. „Du haſt wohl recht ſchwer zu arbeiten, ſagte die Miniſterin. Du ſollteſt Dich ſchonen.“ „Mir war es eben, als wäre ich noch in Flo¬ renz. So ſchwebten auch die Trauben von unſrer Veranda. Und dieſer Wieſenhauch! Als wehte es von Fieſole her, und der Arno plätſcherte unter mir.“ „Ich weiß nicht, ob mir nicht dieſer Heugeruch lie¬ ber iſt als der Duft der Orangen. Iſt es überhaupt Recht, daß Du ſo oft dahin zurückdenkſt? Solche Vergleiche ſtören die Heiterkeit der Seele. Wir ſind doch ein Mal in dieſem Lande, es iſt auch hier ſchön, und wir ſind zufrieden und glücklich, und —“ „Und, fiel er ein, ihr die Hand reichend: Süße heilige Natur Laß uns gehn auf deiner Spur, Leite uns an deiner Hand Wie ein Kind am Gängelband.“ Die Miniſterin accompagnirte die Stollbergſchen Verſe durch eine ſtumme Lippenbewegung, indem ſie andächtig in die Luft ſchaute. Dann zählte ſie die

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 1. Berlin, 1852, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe01_1852/230>, abgerufen am 28.03.2024.