Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten
Frauen es dazumal waren, oder sein zu müssen
glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wal¬
lungen, und sie deutete dieselben nur für das Aufblitzen
unbewußter Naturkräfte. Sie wollte keine Geister¬
seherin sein und erklärte sich gegen den Aberglauben.

Aber die Zungen waren fertig über sie zu rich¬
ten, und es giebt in einer großen Stadt böse Zungen.
Wir übergehen das, was die Boshaften sich zu¬
zischelten: es sei nur Aerger, weil ihre Gesellschaften
nicht die Anziehungskraft geübt, die sie gewünscht,
und die Exclusiven sich zur Russischen Fürstin zögen,
weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen,
und es möchte wohl einen besondern Grund gehabt
haben, warum sie den Prinzen so gern an sich ge¬
zogen. Worauf andere hinzusetzten, der Prinz müsse
auch wohl einen besondern Grund haben, warum er
nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die
mild Gesinnten zur Erklärung vorbrachten: sie sei zu
fein, und weil ihr alles Rohe widerstrebe, wirke es
afficirend, gewissermaßen revolutionirend in dem zar¬
ten Körper. Andre: sie, die für einen kranken, wun¬
derlichen Mann zu sorgen, habe sich nun noch die Last
für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen.
Was koste das nicht! Und ob es denn auch recht
anerkannt würde! Demoiselle Adelheid sei wohl gut
und schön, aber sie habe ein eigensinniges Köpfchen.
Habe sie es nicht durchgesetzt gegen Aller Willen, daß
sie mit ihrem Lehrer halb verlobt sei, einem jungen

nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten
Frauen es dazumal waren, oder ſein zu müſſen
glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wal¬
lungen, und ſie deutete dieſelben nur für das Aufblitzen
unbewußter Naturkräfte. Sie wollte keine Geiſter¬
ſeherin ſein und erklärte ſich gegen den Aberglauben.

Aber die Zungen waren fertig über ſie zu rich¬
ten, und es giebt in einer großen Stadt böſe Zungen.
Wir übergehen das, was die Boshaften ſich zu¬
ziſchelten: es ſei nur Aerger, weil ihre Geſellſchaften
nicht die Anziehungskraft geübt, die ſie gewünſcht,
und die Excluſiven ſich zur Ruſſiſchen Fürſtin zögen,
weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen,
und es möchte wohl einen beſondern Grund gehabt
haben, warum ſie den Prinzen ſo gern an ſich ge¬
zogen. Worauf andere hinzuſetzten, der Prinz müſſe
auch wohl einen beſondern Grund haben, warum er
nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die
mild Geſinnten zur Erklärung vorbrachten: ſie ſei zu
fein, und weil ihr alles Rohe widerſtrebe, wirke es
afficirend, gewiſſermaßen revolutionirend in dem zar¬
ten Körper. Andre: ſie, die für einen kranken, wun¬
derlichen Mann zu ſorgen, habe ſich nun noch die Laſt
für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen.
Was koſte das nicht! Und ob es denn auch recht
anerkannt würde! Demoiſelle Adelheid ſei wohl gut
und ſchön, aber ſie habe ein eigenſinniges Köpfchen.
Habe ſie es nicht durchgeſetzt gegen Aller Willen, daß
ſie mit ihrem Lehrer halb verlobt ſei, einem jungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="2"/>
nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten<lb/>
Frauen es dazumal waren, oder &#x017F;ein zu mü&#x017F;&#x017F;en<lb/>
glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wal¬<lb/>
lungen, und &#x017F;ie deutete die&#x017F;elben nur für das Aufblitzen<lb/>
unbewußter Naturkräfte. Sie wollte keine Gei&#x017F;ter¬<lb/>
&#x017F;eherin &#x017F;ein und erklärte &#x017F;ich gegen den Aberglauben.</p><lb/>
        <p>Aber die Zungen waren fertig über &#x017F;ie zu rich¬<lb/>
ten, und es giebt in einer großen Stadt bö&#x017F;e Zungen.<lb/>
Wir übergehen das, was die Boshaften &#x017F;ich zu¬<lb/>
zi&#x017F;chelten: es &#x017F;ei nur Aerger, weil ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften<lb/>
nicht die Anziehungskraft geübt, die &#x017F;ie gewün&#x017F;cht,<lb/>
und die Exclu&#x017F;iven &#x017F;ich zur Ru&#x017F;&#x017F;i&#x017F;chen Für&#x017F;tin zögen,<lb/>
weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen,<lb/>
und es möchte wohl einen be&#x017F;ondern Grund gehabt<lb/>
haben, warum &#x017F;ie den Prinzen &#x017F;o gern an &#x017F;ich ge¬<lb/>
zogen. Worauf andere hinzu&#x017F;etzten, der Prinz mü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
auch wohl einen be&#x017F;ondern Grund haben, warum er<lb/>
nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die<lb/>
mild Ge&#x017F;innten zur Erklärung vorbrachten: &#x017F;ie &#x017F;ei zu<lb/>
fein, und weil ihr alles Rohe wider&#x017F;trebe, wirke es<lb/>
afficirend, gewi&#x017F;&#x017F;ermaßen revolutionirend in dem zar¬<lb/>
ten Körper. Andre: &#x017F;ie, die für einen kranken, wun¬<lb/>
derlichen Mann zu &#x017F;orgen, habe &#x017F;ich nun noch die La&#x017F;t<lb/>
für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen.<lb/>
Was ko&#x017F;te das nicht! Und ob es denn auch recht<lb/>
anerkannt würde! Demoi&#x017F;elle Adelheid &#x017F;ei wohl gut<lb/>
und &#x017F;chön, aber &#x017F;ie habe ein eigen&#x017F;inniges Köpfchen.<lb/>
Habe &#x017F;ie es nicht durchge&#x017F;etzt gegen Aller Willen, daß<lb/>
&#x017F;ie mit ihrem Lehrer halb verlobt &#x017F;ei, einem jungen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0012] nicht mehr, als die Mehrzahl der zarter gebildeten Frauen es dazumal waren, oder ſein zu müſſen glaubten. Es waren bei ihr nur momentane Wal¬ lungen, und ſie deutete dieſelben nur für das Aufblitzen unbewußter Naturkräfte. Sie wollte keine Geiſter¬ ſeherin ſein und erklärte ſich gegen den Aberglauben. Aber die Zungen waren fertig über ſie zu rich¬ ten, und es giebt in einer großen Stadt böſe Zungen. Wir übergehen das, was die Boshaften ſich zu¬ ziſchelten: es ſei nur Aerger, weil ihre Geſellſchaften nicht die Anziehungskraft geübt, die ſie gewünſcht, und die Excluſiven ſich zur Ruſſiſchen Fürſtin zögen, weil Prinz Louis durchaus nicht kommen wollen, und es möchte wohl einen beſondern Grund gehabt haben, warum ſie den Prinzen ſo gern an ſich ge¬ zogen. Worauf andere hinzuſetzten, der Prinz müſſe auch wohl einen beſondern Grund haben, warum er nicht gekommen. Wir heben lieber heraus, was die mild Geſinnten zur Erklärung vorbrachten: ſie ſei zu fein, und weil ihr alles Rohe widerſtrebe, wirke es afficirend, gewiſſermaßen revolutionirend in dem zar¬ ten Körper. Andre: ſie, die für einen kranken, wun¬ derlichen Mann zu ſorgen, habe ſich nun noch die Laſt für die Erziehung einer Pflegetochter aufgeladen. Was koſte das nicht! Und ob es denn auch recht anerkannt würde! Demoiſelle Adelheid ſei wohl gut und ſchön, aber ſie habe ein eigenſinniges Köpfchen. Habe ſie es nicht durchgeſetzt gegen Aller Willen, daß ſie mit ihrem Lehrer halb verlobt ſei, einem jungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/12
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/12>, abgerufen am 29.03.2024.