Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

eine andre Wahrheit lauert, als die sichtbare, das
hielt damals das Preußische Volk für unmöglich. Es
glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre seines Staates.

Weil es glaubte, war es froh. In der Freude
das Maaß der Schönheit beobachten ist nicht allen
Völkern gegeben. Die Lustigkeit brach roh heraus.
Wenn der Kosack die Peitsche wirbelte, jubelten sie ihn
an, sein Hurrah erwiedernd: "Los auf die Franzosen!"
Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬
flaschen. Die Flaschen gingen auch im Volk von
Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name
Roßbach schallten unter einem Gelächter, daß man¬
chem die schönen Namen in der Gesellschaft leid thun
konnten.

Das mußte auch Einem so gehen, der sich unter
die dichtesten Haufen gemischt; er wollte die Volks¬
stimme hören. Aber Walter van Asten fand nirgend
die Volksstimme, die er suchte. Ihm schien die Freude
empörend, mit der man dem Kosacken die Hände
schüttelte, seine Stiefel, Sporen betastete, den Schweif
seines Rosses streichelte. Einer im Haufen machte
den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬
aufgedunsenem Gesicht, mahlte er den Zuschauern,
wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür
schallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.

Wo waren denn die Patrioten, die Walter suchte?
Er mußte in einer bösen Stimmung sein; wo er ging,
wohin sein Auge fiel, sah er nicht was er erwartet.
Im Volke Rohheit, blödsinnige Hoffnungen, in den

8*

eine andre Wahrheit lauert, als die ſichtbare, das
hielt damals das Preußiſche Volk für unmöglich. Es
glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre ſeines Staates.

Weil es glaubte, war es froh. In der Freude
das Maaß der Schönheit beobachten iſt nicht allen
Völkern gegeben. Die Luſtigkeit brach roh heraus.
Wenn der Koſack die Peitſche wirbelte, jubelten ſie ihn
an, ſein Hurrah erwiedernd: „Los auf die Franzoſen!“
Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬
flaſchen. Die Flaſchen gingen auch im Volk von
Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name
Roßbach ſchallten unter einem Gelächter, daß man¬
chem die ſchönen Namen in der Geſellſchaft leid thun
konnten.

Das mußte auch Einem ſo gehen, der ſich unter
die dichteſten Haufen gemiſcht; er wollte die Volks¬
ſtimme hören. Aber Walter van Aſten fand nirgend
die Volksſtimme, die er ſuchte. Ihm ſchien die Freude
empörend, mit der man dem Koſacken die Hände
ſchüttelte, ſeine Stiefel, Sporen betaſtete, den Schweif
ſeines Roſſes ſtreichelte. Einer im Haufen machte
den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬
aufgedunſenem Geſicht, mahlte er den Zuſchauern,
wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür
ſchallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.

Wo waren denn die Patrioten, die Walter ſuchte?
Er mußte in einer böſen Stimmung ſein; wo er ging,
wohin ſein Auge fiel, ſah er nicht was er erwartet.
Im Volke Rohheit, blödſinnige Hoffnungen, in den

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0125" n="115"/>
eine andre Wahrheit lauert, als die &#x017F;ichtbare, das<lb/>
hielt damals das Preußi&#x017F;che Volk für unmöglich. Es<lb/>
glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre &#x017F;eines Staates.</p><lb/>
        <p>Weil es glaubte, war es froh. In der Freude<lb/>
das Maaß der Schönheit beobachten i&#x017F;t nicht allen<lb/>
Völkern gegeben. Die Lu&#x017F;tigkeit brach roh heraus.<lb/>
Wenn der Ko&#x017F;ack die Peit&#x017F;che wirbelte, jubelten &#x017F;ie ihn<lb/>
an, &#x017F;ein Hurrah erwiedernd: &#x201E;Los auf die Franzo&#x017F;en!&#x201C;<lb/>
Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬<lb/>
fla&#x017F;chen. Die Fla&#x017F;chen gingen auch im Volk von<lb/>
Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name<lb/>
Roßbach &#x017F;challten unter einem Gelächter, daß man¬<lb/>
chem die &#x017F;chönen Namen in der Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft leid thun<lb/>
konnten.</p><lb/>
        <p>Das mußte auch Einem &#x017F;o gehen, der &#x017F;ich unter<lb/>
die dichte&#x017F;ten Haufen gemi&#x017F;cht; er wollte die Volks¬<lb/>
&#x017F;timme hören. Aber Walter van A&#x017F;ten fand nirgend<lb/>
die Volks&#x017F;timme, die er &#x017F;uchte. Ihm &#x017F;chien die Freude<lb/>
empörend, mit der man dem Ko&#x017F;acken die Hände<lb/>
&#x017F;chüttelte, &#x017F;eine Stiefel, Sporen beta&#x017F;tete, den Schweif<lb/>
&#x017F;eines Ro&#x017F;&#x017F;es &#x017F;treichelte. Einer im Haufen machte<lb/>
den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬<lb/>
aufgedun&#x017F;enem Ge&#x017F;icht, mahlte er den Zu&#x017F;chauern,<lb/>
wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür<lb/>
&#x017F;challendes Gelächter und Jubel ihn belohnte.</p><lb/>
        <p>Wo waren denn die Patrioten, die Walter &#x017F;uchte?<lb/>
Er mußte in einer bö&#x017F;en Stimmung &#x017F;ein; wo er ging,<lb/>
wohin &#x017F;ein Auge fiel, &#x017F;ah er nicht was er erwartet.<lb/>
Im Volke Rohheit, blöd&#x017F;innige Hoffnungen, in den<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8*<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[115/0125] eine andre Wahrheit lauert, als die ſichtbare, das hielt damals das Preußiſche Volk für unmöglich. Es glaubte an die Wahrheit wie an die Ehre ſeines Staates. Weil es glaubte, war es froh. In der Freude das Maaß der Schönheit beobachten iſt nicht allen Völkern gegeben. Die Luſtigkeit brach roh heraus. Wenn der Koſack die Peitſche wirbelte, jubelten ſie ihn an, ſein Hurrah erwiedernd: „Los auf die Franzoſen!“ Man reichte den Söhnen des Don die Schnaps¬ flaſchen. Die Flaſchen gingen auch im Volk von Mund zu Munde. Des alten Fritz Name, der Name Roßbach ſchallten unter einem Gelächter, daß man¬ chem die ſchönen Namen in der Geſellſchaft leid thun konnten. Das mußte auch Einem ſo gehen, der ſich unter die dichteſten Haufen gemiſcht; er wollte die Volks¬ ſtimme hören. Aber Walter van Aſten fand nirgend die Volksſtimme, die er ſuchte. Ihm ſchien die Freude empörend, mit der man dem Koſacken die Hände ſchüttelte, ſeine Stiefel, Sporen betaſtete, den Schweif ſeines Roſſes ſtreichelte. Einer im Haufen machte den Spaßvogel. Mit wankenden Füßen und roth¬ aufgedunſenem Geſicht, mahlte er den Zuſchauern, wie Napoleon bei Roßbach laufen würde, wofür ſchallendes Gelächter und Jubel ihn belohnte. Wo waren denn die Patrioten, die Walter ſuchte? Er mußte in einer böſen Stimmung ſein; wo er ging, wohin ſein Auge fiel, ſah er nicht was er erwartet. Im Volke Rohheit, blödſinnige Hoffnungen, in den 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/125
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/125>, abgerufen am 29.03.2024.