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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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"Papierstöße in Aktenberge zu verarbeiten!
Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten
Staate die Aufgabe des Magistrats einer Stadt wie
Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegetiren."

"Liebster, bester College, keine Neuerungen!
Haben wir's nicht gesehen, wohin sie führen. Wenn
erst distinguirte Männer im Amt einen Penchant
dazu bekommen --"

"Neuerungen! fuhr Büsching dazwischen, was
so uralt ist, als es Städte in Deutschland gab.
Der Bonaparte freilich macht in seinem neuen
Reiche seine Bürgermeister zu Domestiken und den
Magistrat zu Pagoden; bei uns aber ist doch we¬
nigstens noch die Fiction, daß wir aus der Bürger¬
schaft hervorgegangen, daß wir ihre Interessen
vertreten, oder, wie man jetzt sagt, sie repräsentiren.
Traurig genug, daß es nur noch Fiction ist. --"

"Aber, liebster Büsching, warum denn traurig!"

"Es geht ja alles ganz gut so."

"Jetzt, meine Herren Collegen, es geht zur Noth
noch. Aber wenn Gefahr kommt, wie denn dann?
Werden seine Präfecten und Maires den Napoleon
halten, wenn über Nacht eine andere Gewalt sich
zum Herrn aufwirft! Sind wir dem Staat eine
Stütze, wenn ein Unglück herein brechen sollte? Wir
gingen nicht aus der Bürgerschaft hervor, wir haben
keine Wurzel in ihr. Und wenn ein Fremder kommt,
uns einsperrt, fortjagt, steht sie rathlos da, ohne Zu¬
sammenhang, Organismus, ohne Willen und Kraft

„Papierſtöße in Aktenberge zu verarbeiten!
Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten
Staate die Aufgabe des Magiſtrats einer Stadt wie
Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegetiren.“

„Liebſter, beſter College, keine Neuerungen!
Haben wir's nicht geſehen, wohin ſie führen. Wenn
erſt diſtinguirte Männer im Amt einen Penchant
dazu bekommen —“

„Neuerungen! fuhr Büſching dazwiſchen, was
ſo uralt iſt, als es Städte in Deutſchland gab.
Der Bonaparte freilich macht in ſeinem neuen
Reiche ſeine Bürgermeiſter zu Domeſtiken und den
Magiſtrat zu Pagoden; bei uns aber iſt doch we¬
nigſtens noch die Fiction, daß wir aus der Bürger¬
ſchaft hervorgegangen, daß wir ihre Intereſſen
vertreten, oder, wie man jetzt ſagt, ſie repräſentiren.
Traurig genug, daß es nur noch Fiction iſt. —“

„Aber, liebſter Büſching, warum denn traurig!“

„Es geht ja alles ganz gut ſo.“

„Jetzt, meine Herren Collegen, es geht zur Noth
noch. Aber wenn Gefahr kommt, wie denn dann?
Werden ſeine Präfecten und Maires den Napoleon
halten, wenn über Nacht eine andere Gewalt ſich
zum Herrn aufwirft! Sind wir dem Staat eine
Stütze, wenn ein Unglück herein brechen ſollte? Wir
gingen nicht aus der Bürgerſchaft hervor, wir haben
keine Wurzel in ihr. Und wenn ein Fremder kommt,
uns einſperrt, fortjagt, ſteht ſie rathlos da, ohne Zu¬
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[190/0200] „Papierſtöße in Aktenberge zu verarbeiten! Meines Erachtens wäre in einem wohlgegliederten Staate die Aufgabe des Magiſtrats einer Stadt wie Berlin eine andere, als im Schlendrian zu vegetiren.“ „Liebſter, beſter College, keine Neuerungen! Haben wir's nicht geſehen, wohin ſie führen. Wenn erſt diſtinguirte Männer im Amt einen Penchant dazu bekommen —“ „Neuerungen! fuhr Büſching dazwiſchen, was ſo uralt iſt, als es Städte in Deutſchland gab. Der Bonaparte freilich macht in ſeinem neuen Reiche ſeine Bürgermeiſter zu Domeſtiken und den Magiſtrat zu Pagoden; bei uns aber iſt doch we¬ nigſtens noch die Fiction, daß wir aus der Bürger¬ ſchaft hervorgegangen, daß wir ihre Intereſſen vertreten, oder, wie man jetzt ſagt, ſie repräſentiren. Traurig genug, daß es nur noch Fiction iſt. —“ „Aber, liebſter Büſching, warum denn traurig!“ „Es geht ja alles ganz gut ſo.“ „Jetzt, meine Herren Collegen, es geht zur Noth noch. Aber wenn Gefahr kommt, wie denn dann? Werden ſeine Präfecten und Maires den Napoleon halten, wenn über Nacht eine andere Gewalt ſich zum Herrn aufwirft! Sind wir dem Staat eine Stütze, wenn ein Unglück herein brechen ſollte? Wir gingen nicht aus der Bürgerſchaft hervor, wir haben keine Wurzel in ihr. Und wenn ein Fremder kommt, uns einſperrt, fortjagt, ſteht ſie rathlos da, ohne Zu¬ ſammenhang, Organismus, ohne Willen und Kraft

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/200>, abgerufen am 16.04.2024.