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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

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Stirn, wie um durch das Gefühl sich zu vergewissern,
ob das Auge nicht getäuscht. Die Probe mußte mit
der Rechnung stimmen; ihr Lächeln ward intensiver,
als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog.
Der Schlaf ist ja ein Verräther! Lag nicht der ganze
dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kin¬
desgesicht ausgedrückt! Wenn das mit den Erwachsenen
derselbe Fall wäre! Wenn Jeder sich einschließen
müßte, vor nichts mehr besorgt, als daß ein
Fremder ihm im Schlaf ins Gesicht sehe! -- Erschreckt
vor dem Gedanken, blickte sie um sich, und -- die
stille Krankenstube barg den Verräther. Hinter der
Fenstergardine saß Adelheid und stickte an der
Fahne, mit welcher die Geheimräthin, sie wußte
noch nicht wie, das Gouvernement überraschen
wollte.

"Spielen wir hier die Lauscherin?"

"Was sollte ich belauschen! Ich arbeite an
Ihrem Auftrage."

"Mit verweintem Gesicht? Ich meinte, eine
Patriotin wie Du sollte nicht Thränen in die Fahne
ihres Königs sticken."

"Die armen Kinder litten aber wieder so sehr."

"Und da ist es ein süßes Gefühl, als Schutz¬
engel über die Unschuld zu wachen! Man mag sich
für gewisse Leute interessant machen, wenn man
immer die Leidende spielt; es giebt aber andere, die
durch die Maske sehen."

Adelheid ward roth, und senkte ihr Auge

III. 14

Stirn, wie um durch das Gefühl ſich zu vergewiſſern,
ob das Auge nicht getäuſcht. Die Probe mußte mit
der Rechnung ſtimmen; ihr Lächeln ward intenſiver,
als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog.
Der Schlaf iſt ja ein Verräther! Lag nicht der ganze
dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kin¬
desgeſicht ausgedrückt! Wenn das mit den Erwachſenen
derſelbe Fall wäre! Wenn Jeder ſich einſchließen
müßte, vor nichts mehr beſorgt, als daß ein
Fremder ihm im Schlaf ins Geſicht ſehe! — Erſchreckt
vor dem Gedanken, blickte ſie um ſich, und — die
ſtille Krankenſtube barg den Verräther. Hinter der
Fenſtergardine ſaß Adelheid und ſtickte an der
Fahne, mit welcher die Geheimräthin, ſie wußte
noch nicht wie, das Gouvernement überraſchen
wollte.

„Spielen wir hier die Lauſcherin?“

„Was ſollte ich belauſchen! Ich arbeite an
Ihrem Auftrage.“

„Mit verweintem Geſicht? Ich meinte, eine
Patriotin wie Du ſollte nicht Thränen in die Fahne
ihres Königs ſticken.“

„Die armen Kinder litten aber wieder ſo ſehr.“

„Und da iſt es ein ſüßes Gefühl, als Schutz¬
engel über die Unſchuld zu wachen! Man mag ſich
für gewiſſe Leute intereſſant machen, wenn man
immer die Leidende ſpielt; es giebt aber andere, die
durch die Maske ſehen.“

Adelheid ward roth, und ſenkte ihr Auge

III. 14
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[209/0219] Stirn, wie um durch das Gefühl ſich zu vergewiſſern, ob das Auge nicht getäuſcht. Die Probe mußte mit der Rechnung ſtimmen; ihr Lächeln ward intenſiver, als plötzlich doch ein Schatten über ihre Stirn flog. Der Schlaf iſt ja ein Verräther! Lag nicht der ganze dunkle Trieb für das Auge des Kundigen auf dem Kin¬ desgeſicht ausgedrückt! Wenn das mit den Erwachſenen derſelbe Fall wäre! Wenn Jeder ſich einſchließen müßte, vor nichts mehr beſorgt, als daß ein Fremder ihm im Schlaf ins Geſicht ſehe! — Erſchreckt vor dem Gedanken, blickte ſie um ſich, und — die ſtille Krankenſtube barg den Verräther. Hinter der Fenſtergardine ſaß Adelheid und ſtickte an der Fahne, mit welcher die Geheimräthin, ſie wußte noch nicht wie, das Gouvernement überraſchen wollte. „Spielen wir hier die Lauſcherin?“ „Was ſollte ich belauſchen! Ich arbeite an Ihrem Auftrage.“ „Mit verweintem Geſicht? Ich meinte, eine Patriotin wie Du ſollte nicht Thränen in die Fahne ihres Königs ſticken.“ „Die armen Kinder litten aber wieder ſo ſehr.“ „Und da iſt es ein ſüßes Gefühl, als Schutz¬ engel über die Unſchuld zu wachen! Man mag ſich für gewiſſe Leute intereſſant machen, wenn man immer die Leidende ſpielt; es giebt aber andere, die durch die Maske ſehen.“ Adelheid ward roth, und ſenkte ihr Auge III. 14

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/219>, abgerufen am 28.03.2024.