Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

seine Zimmer stieß. Es war kaum nöthig gewesen,
die Fenster mit Matten zu behängen; durch ihre,
alle Farben schillernden, mit Staub und Spinne¬
weben umzogenen Scheiben wäre kein Blick ge¬
drungen. Hier durfte kein Diener Ordnung schaf¬
fen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es
ward Niemand eingelassen, außer bei besonderen Ge¬
legenheiten der Assessor und Apotheker Flittner, der
Geheimrath Hermbstädt und andre bekannte Chemiker.

Aber dann hatte die Küche ein etwas veränder¬
tes Ansehen. Um irgend ein glänzendes Experiment
zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgestellt, es war
der übrige Apparat mehr theatralisch geordnet. Auch
wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an
der Wand hingen, beseitigt. Wahrscheinlich saß auch
der Legationsrath nicht ganz in dem Kostüm wie
heute vor der Retorte -- in Hemdsärmeln, weiten
Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen
Bund gewickelt, auf der Nase eine große Brille mit
Ohrenklappen, und mit einem seidenen Halstuch, das
über die Lippen und halb über die Ohren ging.

In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er schob
das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die
Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und
neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann schien er
dem Kräuseln des Rauches, der sich in den Schlott
verlor, mit Aufmerksamkeit zu folgen. Das erste
Experiment mußte geglückt sein, das Residuum des
Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Lega¬

ſeine Zimmer ſtieß. Es war kaum nöthig geweſen,
die Fenſter mit Matten zu behängen; durch ihre,
alle Farben ſchillernden, mit Staub und Spinne¬
weben umzogenen Scheiben wäre kein Blick ge¬
drungen. Hier durfte kein Diener Ordnung ſchaf¬
fen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es
ward Niemand eingelaſſen, außer bei beſonderen Ge¬
legenheiten der Aſſeſſor und Apotheker Flittner, der
Geheimrath Hermbſtädt und andre bekannte Chemiker.

Aber dann hatte die Küche ein etwas veränder¬
tes Anſehen. Um irgend ein glänzendes Experiment
zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgeſtellt, es war
der übrige Apparat mehr theatraliſch geordnet. Auch
wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an
der Wand hingen, beſeitigt. Wahrſcheinlich ſaß auch
der Legationsrath nicht ganz in dem Koſtüm wie
heute vor der Retorte — in Hemdsärmeln, weiten
Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen
Bund gewickelt, auf der Naſe eine große Brille mit
Ohrenklappen, und mit einem ſeidenen Halstuch, das
über die Lippen und halb über die Ohren ging.

In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er ſchob
das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die
Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und
neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann ſchien er
dem Kräuſeln des Rauches, der ſich in den Schlott
verlor, mit Aufmerkſamkeit zu folgen. Das erſte
Experiment mußte geglückt ſein, das Reſiduum des
Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Lega¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0309" n="299"/>
&#x017F;eine Zimmer &#x017F;tieß. Es war kaum nöthig gewe&#x017F;en,<lb/>
die Fen&#x017F;ter mit Matten zu behängen; durch ihre,<lb/>
alle Farben &#x017F;chillernden, mit Staub und Spinne¬<lb/>
weben umzogenen Scheiben wäre kein Blick ge¬<lb/>
drungen. Hier durfte kein Diener Ordnung &#x017F;chaf¬<lb/>
fen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es<lb/>
ward Niemand eingela&#x017F;&#x017F;en, außer bei be&#x017F;onderen Ge¬<lb/>
legenheiten der A&#x017F;&#x017F;e&#x017F;&#x017F;or und Apotheker Flittner, der<lb/>
Geheimrath Hermb&#x017F;tädt und andre bekannte Chemiker.</p><lb/>
        <p>Aber dann hatte die Küche ein etwas veränder¬<lb/>
tes An&#x017F;ehen. Um irgend ein glänzendes Experiment<lb/>
zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortge&#x017F;tellt, es war<lb/>
der übrige Apparat mehr theatrali&#x017F;ch geordnet. Auch<lb/>
wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an<lb/>
der Wand hingen, be&#x017F;eitigt. Wahr&#x017F;cheinlich &#x017F;aß auch<lb/>
der Legationsrath nicht ganz in dem Ko&#x017F;tüm wie<lb/>
heute vor der Retorte &#x2014; in Hemdsärmeln, weiten<lb/>
Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen<lb/>
Bund gewickelt, auf der Na&#x017F;e eine große Brille mit<lb/>
Ohrenklappen, und mit einem &#x017F;eidenen Halstuch, das<lb/>
über die Lippen und halb über die Ohren ging.</p><lb/>
        <p>In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er &#x017F;chob<lb/>
das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die<lb/>
Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und<lb/>
neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann &#x017F;chien er<lb/>
dem Kräu&#x017F;eln des Rauches, der &#x017F;ich in den Schlott<lb/>
verlor, mit Aufmerk&#x017F;amkeit zu folgen. Das er&#x017F;te<lb/>
Experiment mußte geglückt &#x017F;ein, das Re&#x017F;iduum des<lb/>
Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Lega¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0309] ſeine Zimmer ſtieß. Es war kaum nöthig geweſen, die Fenſter mit Matten zu behängen; durch ihre, alle Farben ſchillernden, mit Staub und Spinne¬ weben umzogenen Scheiben wäre kein Blick ge¬ drungen. Hier durfte kein Diener Ordnung ſchaf¬ fen, keine Aufwärterin den Staub wegkehren. Es ward Niemand eingelaſſen, außer bei beſonderen Ge¬ legenheiten der Aſſeſſor und Apotheker Flittner, der Geheimrath Hermbſtädt und andre bekannte Chemiker. Aber dann hatte die Küche ein etwas veränder¬ tes Anſehen. Um irgend ein glänzendes Experiment zu zeigen, waren Töpfe, Tiegel fortgeſtellt, es war der übrige Apparat mehr theatraliſch geordnet. Auch wurden ein Gerippe, und zwei Frauenbilder, die an der Wand hingen, beſeitigt. Wahrſcheinlich ſaß auch der Legationsrath nicht ganz in dem Koſtüm wie heute vor der Retorte — in Hemdsärmeln, weiten Unterbeinkleidern, um den Kopf einen turbanartigen Bund gewickelt, auf der Naſe eine große Brille mit Ohrenklappen, und mit einem ſeidenen Halstuch, das über die Lippen und halb über die Ohren ging. In dem einen Tiegel kochte ein Stoff. Er ſchob das Tuch höher und drückte den Turban tiefer in die Stirn, wenn er mit einem Spahn darin rührte, und neue Ingredienzien hinzuthat. Alsdann ſchien er dem Kräuſeln des Rauches, der ſich in den Schlott verlor, mit Aufmerkſamkeit zu folgen. Das erſte Experiment mußte geglückt ſein, das Reſiduum des Tiegels ward in eine Retorte gethan, und der Lega¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/309
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/309>, abgerufen am 18.04.2024.