Es war ein seltsames Zusammentreffen. Die Fürstin Gargazin war heute mit einem Gedanken aufgestanden, der sie beim Frühstück beschäftigte. Sie wollte bei der Königin eine Audienz erbitten, um Adelheid zu präsentiren. Vielleicht die Frucht eines Traumes; auch unsre Träume sind nur die Früchte einer Saat, die wir selbst gesäet. Adelheid fing an sie zu geniren. Weshalb? -- Das Gesetz ihres Zu¬ sammenlebens war ja, daß keine die andere geniren durfte! Und doch -- zuweilen, wenn ihre Blicke sich begegneten, schlug die Fürstin die Augen nieder. Die Augen des Mädchens leuchteten so hell und klug. Sie erinnerte sich unwillkürlich an das, was Wan¬ del über sie gesagt. Warum blieb er kalt vor dieser Schönheit? Warum empfand er ein Unbehagen in ihrer Gegenwart? -- Wandel war ein blasirter Mensch, aber -- ein Menschenkenner, es war etwas, worin beide in ihren Gefühlen stimmten. -- Und was sollte das Mädchen noch in ihrem Hause! -- Kaiser Alexan¬
Fünftes Kapitel. Zur Königin.
Es war ein ſeltſames Zuſammentreffen. Die Fürſtin Gargazin war heute mit einem Gedanken aufgeſtanden, der ſie beim Frühſtück beſchäftigte. Sie wollte bei der Königin eine Audienz erbitten, um Adelheid zu präſentiren. Vielleicht die Frucht eines Traumes; auch unſre Träume ſind nur die Früchte einer Saat, die wir ſelbſt geſäet. Adelheid fing an ſie zu geniren. Weshalb? — Das Geſetz ihres Zu¬ ſammenlebens war ja, daß keine die andere geniren durfte! Und doch — zuweilen, wenn ihre Blicke ſich begegneten, ſchlug die Fürſtin die Augen nieder. Die Augen des Mädchens leuchteten ſo hell und klug. Sie erinnerte ſich unwillkürlich an das, was Wan¬ del über ſie geſagt. Warum blieb er kalt vor dieſer Schönheit? Warum empfand er ein Unbehagen in ihrer Gegenwart? — Wandel war ein blaſirter Menſch, aber — ein Menſchenkenner, es war etwas, worin beide in ihren Gefühlen ſtimmten. — Und was ſollte das Mädchen noch in ihrem Hauſe! — Kaiſer Alexan¬
<TEI><text><body><pbfacs="#f0098"n="[88]"/><divn="1"><head>Fünftes Kapitel.<lb/><hirendition="#b #g">Zur Königin.</hi><lb/></head><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Es war ein ſeltſames Zuſammentreffen. Die<lb/>
Fürſtin Gargazin war heute mit einem Gedanken<lb/>
aufgeſtanden, der ſie beim Frühſtück beſchäftigte. Sie<lb/>
wollte bei der Königin eine Audienz erbitten, um<lb/>
Adelheid zu präſentiren. Vielleicht die Frucht eines<lb/>
Traumes; auch unſre Träume ſind nur die Früchte<lb/>
einer Saat, die wir ſelbſt geſäet. Adelheid fing an<lb/>ſie zu geniren. Weshalb? — Das Geſetz ihres Zu¬<lb/>ſammenlebens war ja, daß keine die andere geniren<lb/>
durfte! Und doch — zuweilen, wenn ihre Blicke<lb/>ſich begegneten, ſchlug die Fürſtin die Augen nieder.<lb/>
Die Augen des Mädchens leuchteten ſo hell und klug.<lb/>
Sie erinnerte ſich unwillkürlich an das, was Wan¬<lb/>
del über ſie geſagt. Warum blieb er kalt vor dieſer<lb/>
Schönheit? Warum empfand er ein Unbehagen in<lb/>
ihrer Gegenwart? — Wandel war ein blaſirter Menſch,<lb/>
aber — ein Menſchenkenner, es war etwas, worin<lb/>
beide in ihren Gefühlen ſtimmten. — Und was ſollte<lb/>
das Mädchen noch in ihrem Hauſe! — Kaiſer Alexan¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[[88]/0098]
Fünftes Kapitel.
Zur Königin.
Es war ein ſeltſames Zuſammentreffen. Die
Fürſtin Gargazin war heute mit einem Gedanken
aufgeſtanden, der ſie beim Frühſtück beſchäftigte. Sie
wollte bei der Königin eine Audienz erbitten, um
Adelheid zu präſentiren. Vielleicht die Frucht eines
Traumes; auch unſre Träume ſind nur die Früchte
einer Saat, die wir ſelbſt geſäet. Adelheid fing an
ſie zu geniren. Weshalb? — Das Geſetz ihres Zu¬
ſammenlebens war ja, daß keine die andere geniren
durfte! Und doch — zuweilen, wenn ihre Blicke
ſich begegneten, ſchlug die Fürſtin die Augen nieder.
Die Augen des Mädchens leuchteten ſo hell und klug.
Sie erinnerte ſich unwillkürlich an das, was Wan¬
del über ſie geſagt. Warum blieb er kalt vor dieſer
Schönheit? Warum empfand er ein Unbehagen in
ihrer Gegenwart? — Wandel war ein blaſirter Menſch,
aber — ein Menſchenkenner, es war etwas, worin
beide in ihren Gefühlen ſtimmten. — Und was ſollte
das Mädchen noch in ihrem Hauſe! — Kaiſer Alexan¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 5. Berlin, 1852, S. [88]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe05_1852/98>, abgerufen am 29.03.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.