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Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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O halten wir ihn zurück! rief ich aufspringend, er wird unser Gelächter übelgenommen haben.

Glauben Sie das nicht! sagte der Baron, im Gegentheil! der Mann schließt aus unserm Lachen nur, daß er sich in den Schlingen seines Systems verwirrt und Unsinn gesprochen hat. Er ist bei dem bravsten Charakter ein unklarer Kopf und hat bei seiner Naturen oft eigenthümlichen, Leidenschaft für Philosophie auf der Universität viel und gern disputirt, dabei aber immer das Unglück gehabt, sich in seinen künstlichen Sätzen zu verwirren und häufig gerade das Gegentheil von dem zu sagen, was er beweisen wollte. Dann fingen seine Opponenten an zu lachen. Er ist ein leidenschaftlicher Fichtianer und hat diesem System sein eignes Denken eben so sclavisch untergeordnet, wie es die Kirche von dem Christen der Bibel gegenüber verlangt. Daneben hat er Gall während seines Aufenthaltes in Halle gehört und läßt sich darauf todtschlagen, daß man jedem Menschen am Schädel anfühlen kann, ob er ein Genie, oder ein Dummkopf, ein braver Kerl oder ein Hundskerl sei.

In diesem Augenblick kam der Referendar schon zurück, ein Buch in der Hand haltend, setzte sich, ohne uns zu beachten, auf seinen Platz und blätterte eifrig in dem Buche, indem er dabei dann und wann vor sich hinmurmelte: Ach so! -- da -- ganz recht! -- Haha! -- Ja, so ist es -- das hatt' ich vergessen.

Dann legte er das Buch ruhig und mit sichtbarer Befriedigung bei Seite, leerte sein Glas und ging munter in eine zwischen dem Baron und mir angeknüpfte Unterhaltung über andere Dinge ein.

So plauderten und tranken wir vergnügt bis tief in die Nacht hinein; wir besprachen, je mehr uns der Wein erhitzte, unsere Hoffnungen für die Zukunft, für eine allgemeine europäische Erhebung gegen die französische Tyrannei und unsere Entschlüsse für diesen Fall, welche darauf hinausliefen, daß der Baron dabei als

O halten wir ihn zurück! rief ich aufspringend, er wird unser Gelächter übelgenommen haben.

Glauben Sie das nicht! sagte der Baron, im Gegentheil! der Mann schließt aus unserm Lachen nur, daß er sich in den Schlingen seines Systems verwirrt und Unsinn gesprochen hat. Er ist bei dem bravsten Charakter ein unklarer Kopf und hat bei seiner Naturen oft eigenthümlichen, Leidenschaft für Philosophie auf der Universität viel und gern disputirt, dabei aber immer das Unglück gehabt, sich in seinen künstlichen Sätzen zu verwirren und häufig gerade das Gegentheil von dem zu sagen, was er beweisen wollte. Dann fingen seine Opponenten an zu lachen. Er ist ein leidenschaftlicher Fichtianer und hat diesem System sein eignes Denken eben so sclavisch untergeordnet, wie es die Kirche von dem Christen der Bibel gegenüber verlangt. Daneben hat er Gall während seines Aufenthaltes in Halle gehört und läßt sich darauf todtschlagen, daß man jedem Menschen am Schädel anfühlen kann, ob er ein Genie, oder ein Dummkopf, ein braver Kerl oder ein Hundskerl sei.

In diesem Augenblick kam der Referendar schon zurück, ein Buch in der Hand haltend, setzte sich, ohne uns zu beachten, auf seinen Platz und blätterte eifrig in dem Buche, indem er dabei dann und wann vor sich hinmurmelte: Ach so! — da — ganz recht! — Haha! — Ja, so ist es — das hatt' ich vergessen.

Dann legte er das Buch ruhig und mit sichtbarer Befriedigung bei Seite, leerte sein Glas und ging munter in eine zwischen dem Baron und mir angeknüpfte Unterhaltung über andere Dinge ein.

So plauderten und tranken wir vergnügt bis tief in die Nacht hinein; wir besprachen, je mehr uns der Wein erhitzte, unsere Hoffnungen für die Zukunft, für eine allgemeine europäische Erhebung gegen die französische Tyrannei und unsere Entschlüsse für diesen Fall, welche darauf hinausliefen, daß der Baron dabei als

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[0030] O halten wir ihn zurück! rief ich aufspringend, er wird unser Gelächter übelgenommen haben. Glauben Sie das nicht! sagte der Baron, im Gegentheil! der Mann schließt aus unserm Lachen nur, daß er sich in den Schlingen seines Systems verwirrt und Unsinn gesprochen hat. Er ist bei dem bravsten Charakter ein unklarer Kopf und hat bei seiner Naturen oft eigenthümlichen, Leidenschaft für Philosophie auf der Universität viel und gern disputirt, dabei aber immer das Unglück gehabt, sich in seinen künstlichen Sätzen zu verwirren und häufig gerade das Gegentheil von dem zu sagen, was er beweisen wollte. Dann fingen seine Opponenten an zu lachen. Er ist ein leidenschaftlicher Fichtianer und hat diesem System sein eignes Denken eben so sclavisch untergeordnet, wie es die Kirche von dem Christen der Bibel gegenüber verlangt. Daneben hat er Gall während seines Aufenthaltes in Halle gehört und läßt sich darauf todtschlagen, daß man jedem Menschen am Schädel anfühlen kann, ob er ein Genie, oder ein Dummkopf, ein braver Kerl oder ein Hundskerl sei. In diesem Augenblick kam der Referendar schon zurück, ein Buch in der Hand haltend, setzte sich, ohne uns zu beachten, auf seinen Platz und blätterte eifrig in dem Buche, indem er dabei dann und wann vor sich hinmurmelte: Ach so! — da — ganz recht! — Haha! — Ja, so ist es — das hatt' ich vergessen. Dann legte er das Buch ruhig und mit sichtbarer Befriedigung bei Seite, leerte sein Glas und ging munter in eine zwischen dem Baron und mir angeknüpfte Unterhaltung über andere Dinge ein. So plauderten und tranken wir vergnügt bis tief in die Nacht hinein; wir besprachen, je mehr uns der Wein erhitzte, unsere Hoffnungen für die Zukunft, für eine allgemeine europäische Erhebung gegen die französische Tyrannei und unsere Entschlüsse für diesen Fall, welche darauf hinausliefen, daß der Baron dabei als

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T12:28:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Andolt, Ernst [d. i. Bernhard Abeken]: Eine Nacht. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 22. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 211–287. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andolt_nacht_1910/30>, abgerufen am 25.04.2024.