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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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deren Genialität darin verkörpert, das hat immer wieder das Wegweisende darzustellen, die Hilfe und Hoffnung für alle, die auf den tausend Wegen gehen von unten hinan, wie von außen hinein in das Reich des Geschlechterbundes. Denn nicht das ist das Höchste und Seltenste, das Niedagewesene zu finden, das Unerhörte zu künden, sondern das alltäglich Gewordene, das allen Gegebene, aufzutun zur ganzen Fülle seiner Möglichkeiten im Menschengeist. So, wie wir im Morgennebel jedesmal meinen, in Flachland dahinzuwandern, bis die Sonne ihn berührt, und Bergesgipfel darin aufglänzen läßt, oft von unserm Erdboden so nebelgetrennte, daß sie gleich Phantasmagorien wirken, - immer höhere noch, immer fernere, - und doch auch die unerreichbarsten unser noch, in unser Leben mit hinein gehörig: unsere Landschaft.

Derjenige Liebes- und Lebensmut jedoch, der sich zu neuen Träumen in uns erhebt durch den Blick auf solche Gipfel, und unsern Schritt beflügelt, läßt sich nicht mehr in das Spezialisierte und in das Wort hinein weiter verfolgen; außerhalb einer gewissen Vergröberung und tag-scharfen (auch banal-scharfen) Belichtung der Dinge, werden sie nur in so schemenhaften Allgemeinheiten für uns noch deutbar, so sehr ohne sich ins Bestimmte zu teilen und zu sondern, wie man etwa an einer Engelschar nur helle Schwingen und Gesichte unterschieden dächte, und wüßte ihrer Namen keinen. Ist wirklich auch noch diese verschwiegenste, kraftbeanspruchendste Innenarbeit ebenfalls ein Erleben geworden zu Zweien, so ist sie schon wie eine Religion zu zweit: der Versuch, sich und einander in Beziehung zu setzen zum Höchsten, was man noch eben mit dem Blick erreichen kann, um es zu wandeln zu einem Erlebnis des Täglichen. Damit aber ist es auch gleichzeitig ganz und gar ein Werkschaffen geworden, und

deren Genialität darin verkörpert, das hat immer wieder das Wegweisende darzustellen, die Hilfe und Hoffnung für alle, die auf den tausend Wegen gehen von unten hinan, wie von außen hinein in das Reich des Geschlechterbundes. Denn nicht das ist das Höchste und Seltenste, das Niedagewesene zu finden, das Unerhörte zu künden, sondern das alltäglich Gewordene, das allen Gegebene, aufzutun zur ganzen Fülle seiner Möglichkeiten im Menschengeist. So, wie wir im Morgennebel jedesmal meinen, in Flachland dahinzuwandern, bis die Sonne ihn berührt, und Bergesgipfel darin aufglänzen läßt, oft von unserm Erdboden so nebelgetrennte, daß sie gleich Phantasmagorien wirken, – immer höhere noch, immer fernere, – und doch auch die unerreichbarsten unser noch, in unser Leben mit hinein gehörig: unsere Landschaft.

Derjenige Liebes- und Lebensmut jedoch, der sich zu neuen Träumen in uns erhebt durch den Blick auf solche Gipfel, und unsern Schritt beflügelt, läßt sich nicht mehr in das Spezialisierte und in das Wort hinein weiter verfolgen; außerhalb einer gewissen Vergröberung und tag-scharfen (auch banal-scharfen) Belichtung der Dinge, werden sie nur in so schemenhaften Allgemeinheiten für uns noch deutbar, so sehr ohne sich ins Bestimmte zu teilen und zu sondern, wie man etwa an einer Engelschar nur helle Schwingen und Gesichte unterschieden dächte, und wüßte ihrer Namen keinen. Ist wirklich auch noch diese verschwiegenste, kraftbeanspruchendste Innenarbeit ebenfalls ein Erleben geworden zu Zweien, so ist sie schon wie eine Religion zu zweit: der Versuch, sich und einander in Beziehung zu setzen zum Höchsten, was man noch eben mit dem Blick erreichen kann, um es zu wandeln zu einem Erlebnis des Täglichen. Damit aber ist es auch gleichzeitig ganz und gar ein Werkschaffen geworden, und

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[67/0067] deren Genialität darin verkörpert, das hat immer wieder das Wegweisende darzustellen, die Hilfe und Hoffnung für alle, die auf den tausend Wegen gehen von unten hinan, wie von außen hinein in das Reich des Geschlechterbundes. Denn nicht das ist das Höchste und Seltenste, das Niedagewesene zu finden, das Unerhörte zu künden, sondern das alltäglich Gewordene, das allen Gegebene, aufzutun zur ganzen Fülle seiner Möglichkeiten im Menschengeist. So, wie wir im Morgennebel jedesmal meinen, in Flachland dahinzuwandern, bis die Sonne ihn berührt, und Bergesgipfel darin aufglänzen läßt, oft von unserm Erdboden so nebelgetrennte, daß sie gleich Phantasmagorien wirken, – immer höhere noch, immer fernere, – und doch auch die unerreichbarsten unser noch, in unser Leben mit hinein gehörig: unsere Landschaft. Derjenige Liebes- und Lebensmut jedoch, der sich zu neuen Träumen in uns erhebt durch den Blick auf solche Gipfel, und unsern Schritt beflügelt, läßt sich nicht mehr in das Spezialisierte und in das Wort hinein weiter verfolgen; außerhalb einer gewissen Vergröberung und tag-scharfen (auch banal-scharfen) Belichtung der Dinge, werden sie nur in so schemenhaften Allgemeinheiten für uns noch deutbar, so sehr ohne sich ins Bestimmte zu teilen und zu sondern, wie man etwa an einer Engelschar nur helle Schwingen und Gesichte unterschieden dächte, und wüßte ihrer Namen keinen. Ist wirklich auch noch diese verschwiegenste, kraftbeanspruchendste Innenarbeit ebenfalls ein Erleben geworden zu Zweien, so ist sie schon wie eine Religion zu zweit: der Versuch, sich und einander in Beziehung zu setzen zum Höchsten, was man noch eben mit dem Blick erreichen kann, um es zu wandeln zu einem Erlebnis des Täglichen. Damit aber ist es auch gleichzeitig ganz und gar ein Werkschaffen geworden, und

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 67. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/67>, abgerufen am 29.03.2024.