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Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838.

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Sechste Vorlesung.
Diätetik des Eßkünstlers
.

Gleichwie Bildhauer, Steinschneider und Goldschmiede bei
Ausübung ihrer Kunst der nöthigen mineralogischen Kenntnisse
der zu verarbeitenden Naturstoffe und ihrer Eigenschaften nicht
füglich entbehren können, eben so, und nicht anders erkennt der
Eßkünstler die Nothwendigkeit diätetischer Regeln an. Wie
aber dort Mineralogie, so gilt hier Diätetik lediglich als Hilfs-
wissenschaft, und als sonst nichts.

Die Diätetik des Eßkünstlers ist aber von der anderer
Leute, wie wir sie in Lehr- und Handbüchern zu Dutzenden
haben, wesentlich verschieden. Entweder nämlich bezwecken jene
vor Allem und ausschließlich das lange Leben, wobei an den
qualitativen Lebensgenuß so wenig gedacht ist, daß namhafte
Auktoritäten (Galen, Avicenna, Gratarolus u. A.) sogar
ungemischte Speisen als Mittel ihres ersten und letzten Zweckes,
des langen Lebens, zu Grunde legen, oder sie sind für schwache
Mägen berechnet. Auch Mephistopheles räth dem Faust:

"Begieb dich gleich hinaus auf's Feld,
Fang' an zu hacken und zu graben,
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
Leb' mit dem Vieh als Vieh, und acht' es nicht für Raub,
Den Acker, den du erntest, selbst zu düngen etc. --"

Wie aber Faust, so antwortet auch der Eßkünstler: das
enge Leben steht mir gar nicht an, -- und was die genannten
schwachen Mägen betrifft, so wird bei dem Eßkünstler als Con-

Sechste Vorleſung.
Diätetik des Eßkünstlers
.

Gleichwie Bildhauer, Steinſchneider und Goldſchmiede bei
Ausuͤbung ihrer Kunſt der noͤthigen mineralogiſchen Kenntniſſe
der zu verarbeitenden Naturſtoffe und ihrer Eigenſchaften nicht
fuͤglich entbehren koͤnnen, eben ſo, und nicht anders erkennt der
Eßkuͤnſtler die Nothwendigkeit diaͤtetiſcher Regeln an. Wie
aber dort Mineralogie, ſo gilt hier Diaͤtetik lediglich als Hilfs-
wiſſenſchaft, und als ſonſt nichts.

Die Diaͤtetik des Eßkuͤnſtlers iſt aber von der anderer
Leute, wie wir ſie in Lehr- und Handbuͤchern zu Dutzenden
haben, weſentlich verſchieden. Entweder naͤmlich bezwecken jene
vor Allem und ausſchließlich das lange Leben, wobei an den
qualitativen Lebensgenuß ſo wenig gedacht iſt, daß namhafte
Auktoritaͤten (Galen, Avicenna, Gratarolus u. A.) ſogar
ungemiſchte Speiſen als Mittel ihres erſten und letzten Zweckes,
des langen Lebens, zu Grunde legen, oder ſie ſind fuͤr ſchwache
Maͤgen berechnet. Auch Mephiſtopheles raͤth dem Fauſt:

„Begieb dich gleich hinaus auf’s Feld,
Fang’ an zu hacken und zu graben,
Erhalte dich und deinen Sinn
In einem ganz beſchraͤnkten Kreiſe,
Ernaͤhre dich mit ungemiſchter Speiſe,
Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht fuͤr Raub,
Den Acker, den du ernteſt, ſelbſt zu duͤngen ꝛc. —“

Wie aber Fauſt, ſo antwortet auch der Eßkuͤnſtler: das
enge Leben ſteht mir gar nicht an, — und was die genannten
ſchwachen Maͤgen betrifft, ſo wird bei dem Eßkuͤnſtler als Con-

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[[116]/0130] Sechste Vorleſung. Diätetik des Eßkünstlers. Gleichwie Bildhauer, Steinſchneider und Goldſchmiede bei Ausuͤbung ihrer Kunſt der noͤthigen mineralogiſchen Kenntniſſe der zu verarbeitenden Naturſtoffe und ihrer Eigenſchaften nicht fuͤglich entbehren koͤnnen, eben ſo, und nicht anders erkennt der Eßkuͤnſtler die Nothwendigkeit diaͤtetiſcher Regeln an. Wie aber dort Mineralogie, ſo gilt hier Diaͤtetik lediglich als Hilfs- wiſſenſchaft, und als ſonſt nichts. Die Diaͤtetik des Eßkuͤnſtlers iſt aber von der anderer Leute, wie wir ſie in Lehr- und Handbuͤchern zu Dutzenden haben, weſentlich verſchieden. Entweder naͤmlich bezwecken jene vor Allem und ausſchließlich das lange Leben, wobei an den qualitativen Lebensgenuß ſo wenig gedacht iſt, daß namhafte Auktoritaͤten (Galen, Avicenna, Gratarolus u. A.) ſogar ungemiſchte Speiſen als Mittel ihres erſten und letzten Zweckes, des langen Lebens, zu Grunde legen, oder ſie ſind fuͤr ſchwache Maͤgen berechnet. Auch Mephiſtopheles raͤth dem Fauſt: „Begieb dich gleich hinaus auf’s Feld, Fang’ an zu hacken und zu graben, Erhalte dich und deinen Sinn In einem ganz beſchraͤnkten Kreiſe, Ernaͤhre dich mit ungemiſchter Speiſe, Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht fuͤr Raub, Den Acker, den du ernteſt, ſelbſt zu duͤngen ꝛc. —“ Wie aber Fauſt, ſo antwortet auch der Eßkuͤnſtler: das enge Leben ſteht mir gar nicht an, — und was die genannten ſchwachen Maͤgen betrifft, ſo wird bei dem Eßkuͤnſtler als Con-

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Zitationshilfe: Antonius Anthus [i. e. Blumröder, Gustav]: Vorlesungen über Esskunst. Leipzig, 1838, S. [116]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/anthus_esskunst_1838/130>, abgerufen am 25.04.2024.