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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Oskar Jerschke.
Nachtrag zu Seite 193.


Das Forsthaus in den Vogesen.
Ich sang und wanderte im Wasgauwalde,
Bis ich im Wurzelwerk den Pfad verlor,
Da trat mir just auf einer Lichtung Halde
Ein grünumranktes, freundlich Haus hervor.
Gar lockend winkte aus dem Laubgewinde
Die weiße Wand, der hellen Fenster Fach,
Und über allem baute Eich' und Linde
Ein duftig schattenreiches Blätterdach.
Hoch durch das Laub sah ich den Giebel ragen,
Gekrönt von einem stattlichen Geweih,
Das schien dem Wandrer schon von fern zu sagen,
Daß dies des Waidmanns lustig Schlößchen sei.
Hier stieg ich keck die moosumkränzten Stufen
Zur braunen Thür und pochte wacker an. --
Der liebe Gott hat's ja schon längst gerufen:
"Wer anklopft, dem wird sicher aufgethan." --
Ich that's zwei-, dreimal, doch es blieb geschlossen.
Ein Zeisig nur sang drin sein Schelmenlied;
Es war das erste, das mich schier verdrossen,
Denn neckisch klang es mir wie: "Flieht nur, flieht!"
Da hört ich plötzlich durch's Gezweig erklingen
Gar heller Stimme fröhlichen Gesang,
Und gleich darauf sah ich durch's Buschwerk springen
Ein blühend Mädchen, schlehenäugig, schlank.
19*
Oskar Jerſchke.
Nachtrag zu Seite 193.


Das Forſthaus in den Vogeſen.
Ich ſang und wanderte im Wasgauwalde,
Bis ich im Wurzelwerk den Pfad verlor,
Da trat mir juſt auf einer Lichtung Halde
Ein grünumranktes, freundlich Haus hervor.
Gar lockend winkte aus dem Laubgewinde
Die weiße Wand, der hellen Fenſter Fach,
Und über allem baute Eich’ und Linde
Ein duftig ſchattenreiches Blätterdach.
Hoch durch das Laub ſah ich den Giebel ragen,
Gekrönt von einem ſtattlichen Geweih,
Das ſchien dem Wandrer ſchon von fern zu ſagen,
Daß dies des Waidmanns luſtig Schlößchen ſei.
Hier ſtieg ich keck die moosumkränzten Stufen
Zur braunen Thür und pochte wacker an. —
Der liebe Gott hat’s ja ſchon längſt gerufen:
„Wer anklopft, dem wird ſicher aufgethan.“ —
Ich that’s zwei-, dreimal, doch es blieb geſchloſſen.
Ein Zeiſig nur ſang drin ſein Schelmenlied;
Es war das erſte, das mich ſchier verdroſſen,
Denn neckiſch klang es mir wie: „Flieht nur, flieht!“
Da hört ich plötzlich durch’s Gezweig erklingen
Gar heller Stimme fröhlichen Geſang,
Und gleich darauf ſah ich durch’s Buſchwerk ſpringen
Ein blühend Mädchen, ſchlehenäugig, ſchlank.
19*
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[[291]/0309] Oskar Jerſchke. Nachtrag zu Seite 193. Das Forſthaus in den Vogeſen. Ich ſang und wanderte im Wasgauwalde, Bis ich im Wurzelwerk den Pfad verlor, Da trat mir juſt auf einer Lichtung Halde Ein grünumranktes, freundlich Haus hervor. Gar lockend winkte aus dem Laubgewinde Die weiße Wand, der hellen Fenſter Fach, Und über allem baute Eich’ und Linde Ein duftig ſchattenreiches Blätterdach. Hoch durch das Laub ſah ich den Giebel ragen, Gekrönt von einem ſtattlichen Geweih, Das ſchien dem Wandrer ſchon von fern zu ſagen, Daß dies des Waidmanns luſtig Schlößchen ſei. Hier ſtieg ich keck die moosumkränzten Stufen Zur braunen Thür und pochte wacker an. — Der liebe Gott hat’s ja ſchon längſt gerufen: „Wer anklopft, dem wird ſicher aufgethan.“ — Ich that’s zwei-, dreimal, doch es blieb geſchloſſen. Ein Zeiſig nur ſang drin ſein Schelmenlied; Es war das erſte, das mich ſchier verdroſſen, Denn neckiſch klang es mir wie: „Flieht nur, flieht!“ Da hört ich plötzlich durch’s Gezweig erklingen Gar heller Stimme fröhlichen Geſang, Und gleich darauf ſah ich durch’s Buſchwerk ſpringen Ein blühend Mädchen, ſchlehenäugig, ſchlank. 19*

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. [291]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/309>, abgerufen am 29.03.2024.