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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Oscar Linke.
Kaiser Nero.

Originalbeitrag.

Sahst du das prachtvoll düstere Nerobild,
Das Meister Kaulbach's flüchtige Hand entwarf?
Sein Zauberreiz bleibt unauslöschlich
Winkend mir tief in das Herz gegraben.
Hoch oben steht machtstrahlend der Caesar da
Im lässig weichumhüllenden Prunkgewand,
Indessen hält die ausgeklung'ne
Leier ein knieender, schöner Knabe.
Hoch als Apollon ragt er, im Lorbeer stolz;
Von links drängt an vollbusiger Weiber Schaar,
Mänadisch schön, mit liebestrunk'nen
Augen, in üppiger Leibesnacktheit.
Links aber nah'n mit grinsenden Sclavenblick
Sich Männer, feig und seelenverderbt, ob nun
Die weite Toga, ob der Panzer
Schmücke die immer noch stolzen Glieder.
So schlängeln glückwunschbringend sie sich zum Herrn,
Der eben aussang -- Aber betrachte jetzt
Den Kaiser selbst: Was sieht sein Auge?
Welche Tragödie sich zu Füßen?
Ein Christenhäuflein! Petrus am Marterpfahl!
Den nackten Säugling hier und die Mutter dort!
Jünglinge, trotzig schön in Demuth,
Hoffend wie Paulus und schweigsam duldend ...
O schnöder Zeitgeist, welcher gefangen hält
In dumpfem Bann ach alle Gemüther -- ha,
Wie Kaiser Nero möcht' ich heute
Sitzen und richten vom goldenen Thronstuhl.

Oscar Linke.
Kaiſer Nero.

Originalbeitrag.

Sahſt du das prachtvoll düſtere Nerobild,
Das Meiſter Kaulbach’s flüchtige Hand entwarf?
Sein Zauberreiz bleibt unauslöſchlich
Winkend mir tief in das Herz gegraben.
Hoch oben ſteht machtſtrahlend der Caeſar da
Im läſſig weichumhüllenden Prunkgewand,
Indeſſen hält die ausgeklung’ne
Leier ein knieender, ſchöner Knabe.
Hoch als Apollon ragt er, im Lorbeer ſtolz;
Von links drängt an vollbuſiger Weiber Schaar,
Mänadiſch ſchön, mit liebestrunk’nen
Augen, in üppiger Leibesnacktheit.
Links aber nah’n mit grinſenden Sclavenblick
Sich Männer, feig und ſeelenverderbt, ob nun
Die weite Toga, ob der Panzer
Schmücke die immer noch ſtolzen Glieder.
So ſchlängeln glückwunſchbringend ſie ſich zum Herrn,
Der eben ausſang — Aber betrachte jetzt
Den Kaiſer ſelbſt: Was ſieht ſein Auge?
Welche Tragödie ſich zu Füßen?
Ein Chriſtenhäuflein! Petrus am Marterpfahl!
Den nackten Säugling hier und die Mutter dort!
Jünglinge, trotzig ſchön in Demuth,
Hoffend wie Paulus und ſchweigſam duldend …
O ſchnöder Zeitgeiſt, welcher gefangen hält
In dumpfem Bann ach alle Gemüther — ha,
Wie Kaiſer Nero möcht’ ich heute
Sitzen und richten vom goldenen Thronſtuhl.

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[44/0062] Oscar Linke. Kaiſer Nero. Originalbeitrag. Sahſt du das prachtvoll düſtere Nerobild, Das Meiſter Kaulbach’s flüchtige Hand entwarf? Sein Zauberreiz bleibt unauslöſchlich Winkend mir tief in das Herz gegraben. Hoch oben ſteht machtſtrahlend der Caeſar da Im läſſig weichumhüllenden Prunkgewand, Indeſſen hält die ausgeklung’ne Leier ein knieender, ſchöner Knabe. Hoch als Apollon ragt er, im Lorbeer ſtolz; Von links drängt an vollbuſiger Weiber Schaar, Mänadiſch ſchön, mit liebestrunk’nen Augen, in üppiger Leibesnacktheit. Links aber nah’n mit grinſenden Sclavenblick Sich Männer, feig und ſeelenverderbt, ob nun Die weite Toga, ob der Panzer Schmücke die immer noch ſtolzen Glieder. So ſchlängeln glückwunſchbringend ſie ſich zum Herrn, Der eben ausſang — Aber betrachte jetzt Den Kaiſer ſelbſt: Was ſieht ſein Auge? Welche Tragödie ſich zu Füßen? Ein Chriſtenhäuflein! Petrus am Marterpfahl! Den nackten Säugling hier und die Mutter dort! Jünglinge, trotzig ſchön in Demuth, Hoffend wie Paulus und ſchweigſam duldend … O ſchnöder Zeitgeiſt, welcher gefangen hält In dumpfem Bann ach alle Gemüther — ha, Wie Kaiſer Nero möcht’ ich heute Sitzen und richten vom goldenen Thronſtuhl.

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/62>, abgerufen am 29.03.2024.