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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Einleitung.
unzerstörbare Empfänglichkeit unseres Volkes für alles wahrhaft Große, Schöne
und Gute, und in diesem Sinne mit dem Pfunde, das uns verliehen, zu
wirken und zu wuchern streben. Wir, das heißt die junge Generation
des erneuten, geeinten und großen Vaterlandes, wollen, daß die Poesie wiederum
ein Heiligthum werde, zu dessen geweihter Stätte das Volk wallfahrtet, um
mit tiefster Seele aus dem Born des Ewigen zu schlürfen und erquickt, ge-
leitet und erhoben zu der Erfüllung seines menschheitlichen Berufes zurück-
zukehren, wir wollen uns von ganzem Herzen und von ganzer Seele der
Kunst ergeben, deren Triebkraft in uns gelegt, und wollen unsere nach bestem
Können gebildete und veredelte Persönlichkeit rücksichtslos, wahr und unein-
geschränkt zum Ausdruck bringen. Wir wollen, mit einem Worte, dahin
streben, Charaktere zu sein. Dann werden wir auch des Lohnes nicht er-
mangeln, den wir ersehnen: eine Poesie, also auch eine Lyrik zu gebären, die,
durchtränkt von dem Lebensstrome der Zeit und der Nation, ein charakteristisch
verkörpertes Abbild alles Leidens, Sehnens, Strebens und Kämpfens unserer
Epoche darstellt, und soll sein ein prophetischer Gesang und ein jauchzender
Morgenweckruf der siegenden und befreienden Zukunft.

. . . . . . . . Unsere Anthologie soll sich, wenn irgend möglich, zu einem
dauernden Jahrbuch gestalten, das sich aus schwachen Anfängen zu immer
größerer Bedeutung entwickeln möge. Die Idee dieses jüngsten Eröffnungs-
bandes ist schnell entstanden und ebenso schnell durch die thatkräftige und
opferwillige Liberalität unseres Freundes und Dichtgenossen Wilhelm Arent
in's Leben gerufen worden; die große Eile, mit der wir vorgehen mußten,
um das Werk noch vor Weihnachten herauszubringen, möge es entschuldigen,
wenn die Vollständigkeit, Vielseitigkeit und Auswahl noch nicht ganz nach
Wunsch ausgefallen. Der Weg zur Vollendung ist eben schwer, und der
Herausgeber würde vollkommen befriedigt sein, wenn von Seiten der guten
und verständnißvoll Urtheilenden anerkannt würde, daß die ersten Schritte,
die auf dem Wege geschehen, keine "verlorene Liebesmühe" gewesen sind.
Noch manchen der Jüngeren hätten wir gern geladen, aber die Frist war zu
kurz; immerhin hoffen wir, daß es ersichtlich wird: auf den Dichtern des
Kreises, den dieses Buch vereint, beruht die Litteratur, die Poesie der Zukunft,
und wir meinen, eine bedeutsame Litteratur, eine große Poesie. . . . . . . .

Hannover, Mitte November 1884.

Karl Henckell.


Einleitung.
unzerſtörbare Empfänglichkeit unſeres Volkes für alles wahrhaft Große, Schöne
und Gute, und in dieſem Sinne mit dem Pfunde, das uns verliehen, zu
wirken und zu wuchern ſtreben. Wir, das heißt die junge Generation
des erneuten, geeinten und großen Vaterlandes, wollen, daß die Poeſie wiederum
ein Heiligthum werde, zu deſſen geweihter Stätte das Volk wallfahrtet, um
mit tiefſter Seele aus dem Born des Ewigen zu ſchlürfen und erquickt, ge-
leitet und erhoben zu der Erfüllung ſeines menſchheitlichen Berufes zurück-
zukehren, wir wollen uns von ganzem Herzen und von ganzer Seele der
Kunſt ergeben, deren Triebkraft in uns gelegt, und wollen unſere nach beſtem
Können gebildete und veredelte Perſönlichkeit rückſichtslos, wahr und unein-
geſchränkt zum Ausdruck bringen. Wir wollen, mit einem Worte, dahin
ſtreben, Charaktere zu ſein. Dann werden wir auch des Lohnes nicht er-
mangeln, den wir erſehnen: eine Poeſie, alſo auch eine Lyrik zu gebären, die,
durchtränkt von dem Lebensſtrome der Zeit und der Nation, ein charakteriſtiſch
verkörpertes Abbild alles Leidens, Sehnens, Strebens und Kämpfens unſerer
Epoche darſtellt, und ſoll ſein ein prophetiſcher Geſang und ein jauchzender
Morgenweckruf der ſiegenden und befreienden Zukunft.

. . . . . . . . Unſere Anthologie ſoll ſich, wenn irgend möglich, zu einem
dauernden Jahrbuch geſtalten, das ſich aus ſchwachen Anfängen zu immer
größerer Bedeutung entwickeln möge. Die Idee dieſes jüngſten Eröffnungs-
bandes iſt ſchnell entſtanden und ebenſo ſchnell durch die thatkräftige und
opferwillige Liberalität unſeres Freundes und Dichtgenoſſen Wilhelm Arent
in’s Leben gerufen worden; die große Eile, mit der wir vorgehen mußten,
um das Werk noch vor Weihnachten herauszubringen, möge es entſchuldigen,
wenn die Vollſtändigkeit, Vielſeitigkeit und Auswahl noch nicht ganz nach
Wunſch ausgefallen. Der Weg zur Vollendung iſt eben ſchwer, und der
Herausgeber würde vollkommen befriedigt ſein, wenn von Seiten der guten
und verſtändnißvoll Urtheilenden anerkannt würde, daß die erſten Schritte,
die auf dem Wege geſchehen, keine „verlorene Liebesmühe“ geweſen ſind.
Noch manchen der Jüngeren hätten wir gern geladen, aber die Friſt war zu
kurz; immerhin hoffen wir, daß es erſichtlich wird: auf den Dichtern des
Kreiſes, den dieſes Buch vereint, beruht die Litteratur, die Poeſie der Zukunft,
und wir meinen, eine bedeutſame Litteratur, eine große Poeſie. . . . . . . .

Hannover, Mitte November 1884.

Karl Henckell.


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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/17>, abgerufen am 25.04.2024.