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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Arno Holz.
Das Fenster ist vernagelt durch ein Brett,
Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder,
Und dort auf jenem strohgestopften Bett
Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder.
Drei kleine Kinder stehn um sie herum,
Die stieren Blicks an ihren Zügen hangen;
Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein stumm
Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen.
Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein,
Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten?
Es klopft und durch die Thür tritt nun herein
Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten.
Der Armenhifsarzt ist's aus dem Revier,
Den sie geholt aus Mitleid mit der Kranken,
Indeß ihr Mann bei Branntwein oder Bier
Sich selbst betäubt und seine Wuthgedanken.
Der junge Doctor aber nimmt das Licht
Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes;
Doch gelb wie Wachs und spitz ist ihr Gesicht
Und kalt und starr die Glieder ihres Leibes.
Da schluchzt sein Herz, indeß das Licht verkohlt,
Von niegekannter Wehmuth überschlichen:
Weint Kinder weint, ich bin zu spät geholt,
Denn eure Mutter ist bereits -- verblichen!


Arno Holz.
Das Fenſter iſt vernagelt durch ein Brett,
Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder,
Und dort auf jenem ſtrohgeſtopften Bett
Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder.
Drei kleine Kinder ſtehn um ſie herum,
Die ſtieren Blicks an ihren Zügen hangen;
Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein ſtumm
Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen.
Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein,
Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten?
Es klopft und durch die Thür tritt nun herein
Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten.
Der Armenhifsarzt iſt’s aus dem Revier,
Den ſie geholt aus Mitleid mit der Kranken,
Indeß ihr Mann bei Branntwein oder Bier
Sich ſelbſt betäubt und ſeine Wuthgedanken.
Der junge Doctor aber nimmt das Licht
Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes;
Doch gelb wie Wachs und ſpitz iſt ihr Geſicht
Und kalt und ſtarr die Glieder ihres Leibes.
Da ſchluchzt ſein Herz, indeß das Licht verkohlt,
Von niegekannter Wehmuth überſchlichen:
Weint Kinder weint, ich bin zu ſpät geholt,
Denn eure Mutter iſt bereits — verblichen!


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[156/0174] Arno Holz. Das Fenſter iſt vernagelt durch ein Brett, Und doch durchpfeift der Wind es hin und wieder, Und dort auf jenem ſtrohgeſtopften Bett Liegt fieberkrank ein junges Weib darnieder. Drei kleine Kinder ſtehn um ſie herum, Die ſtieren Blicks an ihren Zügen hangen; Vor vielem Weinen ward ihr Mündlein ſtumm Und keine Thräne mehr netzt ihre Wangen. Ein Stümpfchen Talglicht giebt nur trüben Schein, Doch horch, es klopft, was mag das nur bedeuten? Es klopft und durch die Thür tritt nun herein Ein junger Herr, geführt von Nachbarsleuten. Der Armenhifsarzt iſt’s aus dem Revier, Den ſie geholt aus Mitleid mit der Kranken, Indeß ihr Mann bei Branntwein oder Bier Sich ſelbſt betäubt und ſeine Wuthgedanken. Der junge Doctor aber nimmt das Licht Und tritt mit ihm ans Bett des armen Weibes; Doch gelb wie Wachs und ſpitz iſt ihr Geſicht Und kalt und ſtarr die Glieder ihres Leibes. Da ſchluchzt ſein Herz, indeß das Licht verkohlt, Von niegekannter Wehmuth überſchlichen: Weint Kinder weint, ich bin zu ſpät geholt, Denn eure Mutter iſt bereits — verblichen!

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/174>, abgerufen am 28.03.2024.