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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Georg Gradnauer.

Ein mattes Nebelmeer umwallt mir die schwindelnden Sinne,
Und aus ihm lösen sich geheimnißvolle Schattenbilder,
Die immer schärfer, klarer zu deutlichster Gestaltung mir sich festen.
Und was im Wandel fliehender Zeiten Großes erstanden,
Alles erscheint mir wie wiedergeboren,
Umschwebt mich zu wundergewaltger Erhebung.
Prometheus, nimmermüder Kämpfer
Wider falsche Scepter tragender Götter Frevelmuth,
Und Moses, Heiligthumserwecker,
Von des Dornbuschs flammenden Feuern Geweihter,
Und Jesus Dich, der Du in entsagender Hehrheit
Schwerster Leiden bittere Früchte gekostet,
Euch alle schau' ich in staunenbefangener Seele,
Von des heiligen Weltgeists Riesengriffen erfaßt.
An der Pfort' des Herzens stocket des Blutes
Strömung, gehemmet von seligem Schreck.
In Wonneklarheit flammt es mir durch die Seele,
Der ewige Geist des Alls durchschüttert sie mit seinem Läutrungsbade;
Zerreißen fühl' ich alle irdschen Bande,
Ich fühl's, ich weiß's, ich bin geweiht und bin gesalbt,
Bin auserkoren, auferweckt zum Heile;
Und mag der Dornenkranz mit seinen Stacheln
Mir noch so tief die Stirn zerfurchen,
Und jedes Leidens blut'ge Qual sich auf mich thürmen
Ich weiß, ich weiß, in mir erstanden ist ein neues Licht,
Und dieses Lichtes goldner Fackelbrand,
Bald leuchtet hin er durch die schattendunklen Lande,
Bis daß er niederflute in die Tiefe aller Seelen.
Zu neuen Sonnen soll die Menschheit wandeln,
Den Ausgang weis' ich aus des Elends Grüften,
Und künd' all' ihren Geschlechtern, verschmachtend im Joche,
Von Neuem die Lehre, die heilige Satzung,
Durch der Liebe Erhebung, des Mitleids Gral
Aus des Elends Jammer empor sich heben,
Ich bringe des Friedens mildlächelndes Antlitz,
Ich komme, ich nahe, zu befreien, zu erlösen!!!



Georg Gradnauer.

Ein mattes Nebelmeer umwallt mir die ſchwindelnden Sinne,
Und aus ihm löſen ſich geheimnißvolle Schattenbilder,
Die immer ſchärfer, klarer zu deutlichſter Geſtaltung mir ſich feſten.
Und was im Wandel fliehender Zeiten Großes erſtanden,
Alles erſcheint mir wie wiedergeboren,
Umſchwebt mich zu wundergewaltger Erhebung.
Prometheus, nimmermüder Kämpfer
Wider falſche Scepter tragender Götter Frevelmuth,
Und Moſes, Heiligthumserwecker,
Von des Dornbuſchs flammenden Feuern Geweihter,
Und Jeſus Dich, der Du in entſagender Hehrheit
Schwerſter Leiden bittere Früchte gekoſtet,
Euch alle ſchau’ ich in ſtaunenbefangener Seele,
Von des heiligen Weltgeiſts Rieſengriffen erfaßt.
An der Pfort’ des Herzens ſtocket des Blutes
Strömung, gehemmet von ſeligem Schreck.
In Wonneklarheit flammt es mir durch die Seele,
Der ewige Geiſt des Alls durchſchüttert ſie mit ſeinem Läutrungsbade;
Zerreißen fühl’ ich alle irdſchen Bande,
Ich fühl’s, ich weiß’s, ich bin geweiht und bin geſalbt,
Bin auserkoren, auferweckt zum Heile;
Und mag der Dornenkranz mit ſeinen Stacheln
Mir noch ſo tief die Stirn zerfurchen,
Und jedes Leidens blut’ge Qual ſich auf mich thürmen
Ich weiß, ich weiß, in mir erſtanden iſt ein neues Licht,
Und dieſes Lichtes goldner Fackelbrand,
Bald leuchtet hin er durch die ſchattendunklen Lande,
Bis daß er niederflute in die Tiefe aller Seelen.
Zu neuen Sonnen ſoll die Menſchheit wandeln,
Den Ausgang weiſ’ ich aus des Elends Grüften,
Und künd’ all’ ihren Geſchlechtern, verſchmachtend im Joche,
Von Neuem die Lehre, die heilige Satzung,
Durch der Liebe Erhebung, des Mitleids Gral
Aus des Elends Jammer empor ſich heben,
Ich bringe des Friedens mildlächelndes Antlitz,
Ich komme, ich nahe, zu befreien, zu erlöſen!!!



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[213/0231] Georg Gradnauer. Ein mattes Nebelmeer umwallt mir die ſchwindelnden Sinne, Und aus ihm löſen ſich geheimnißvolle Schattenbilder, Die immer ſchärfer, klarer zu deutlichſter Geſtaltung mir ſich feſten. Und was im Wandel fliehender Zeiten Großes erſtanden, Alles erſcheint mir wie wiedergeboren, Umſchwebt mich zu wundergewaltger Erhebung. Prometheus, nimmermüder Kämpfer Wider falſche Scepter tragender Götter Frevelmuth, Und Moſes, Heiligthumserwecker, Von des Dornbuſchs flammenden Feuern Geweihter, Und Jeſus Dich, der Du in entſagender Hehrheit Schwerſter Leiden bittere Früchte gekoſtet, Euch alle ſchau’ ich in ſtaunenbefangener Seele, Von des heiligen Weltgeiſts Rieſengriffen erfaßt. An der Pfort’ des Herzens ſtocket des Blutes Strömung, gehemmet von ſeligem Schreck. In Wonneklarheit flammt es mir durch die Seele, Der ewige Geiſt des Alls durchſchüttert ſie mit ſeinem Läutrungsbade; Zerreißen fühl’ ich alle irdſchen Bande, Ich fühl’s, ich weiß’s, ich bin geweiht und bin geſalbt, Bin auserkoren, auferweckt zum Heile; Und mag der Dornenkranz mit ſeinen Stacheln Mir noch ſo tief die Stirn zerfurchen, Und jedes Leidens blut’ge Qual ſich auf mich thürmen Ich weiß, ich weiß, in mir erſtanden iſt ein neues Licht, Und dieſes Lichtes goldner Fackelbrand, Bald leuchtet hin er durch die ſchattendunklen Lande, Bis daß er niederflute in die Tiefe aller Seelen. Zu neuen Sonnen ſoll die Menſchheit wandeln, Den Ausgang weiſ’ ich aus des Elends Grüften, Und künd’ all’ ihren Geſchlechtern, verſchmachtend im Joche, Von Neuem die Lehre, die heilige Satzung, Durch der Liebe Erhebung, des Mitleids Gral Aus des Elends Jammer empor ſich heben, Ich bringe des Friedens mildlächelndes Antlitz, Ich komme, ich nahe, zu befreien, zu erlöſen!!!

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/231>, abgerufen am 20.04.2024.