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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Ernst von Wildenbruch.

Und Stunde auf Stunde nach Stunde verrann,
Die Mönche schauten sich staunend an:
"Er, der unsträflich in Worten und Thaten,
Was kann Medardus für Sünden verrathen?"
Die Vesperglocke mit dumpfen Schall,
Sie rief zur Kapelle die Mönche all',
Sie beugten die Häupter, sie knieten im Kreise,
Für Bruder Medardus sie beteten leise. --
Da horch, da von ferne herüberklang
Mit klagender Stimme ein düster Gesang.
Der Prior hob sich vom Boden empor,
Die Mönche lauschten und neigten das Ohr:
"Aus Medardus' Zelle der Sang erklingt,
Das ist Medardus, der also singt."
Sie lauschten und horchten: "Was mag es sein?
Das sind nicht Gebete und Litanei'n,
Das klingt wie sündige, weltliche Worte?"
Und siehe, und siehe, herein in die Pforte
Der Beichtiger kam voll Schrecken und Hast:
"Wir haben den Teufel im Kloster zu Gast!
Medardus ist dem Versucher verfallen,
Medardus ringt in des Satans Krallen!"
Der Prior setzte die Kerze in Brand,
Die heilig geweihte, und nahm sie zur Hand,
Die Mönche thaten alle, wie er,
Und hinter dem Prior schritten sie her,
Von Wand und Gewölbe scholl dröhnend wieder
Die Klagestimme der singenden Brüder:
"Vor Sündenfrevel, vor Satans Spott,
Bewahr' uns in Gnaden, allmächtiger Gott". --
Die Zelle war offen -- bleich, hager und mager
Lag Bruder Medardus auf kärglichem Lager,
Die Hände gefaltet in betender Wuth,
Die starrenden Augen voll sehnender Gluth,
Und von den stammelnden Lippen sprang
Rastlos und ohn' Ende der wilde Gesang.
Das Lied das hatte so seltsamen Ton,
Wie sehnende Liebe, wie lästernder Hohn,
Als trüge von ferne herüber die Luft
Fremdländischer Blumen bestrickenden Duft.

Ernſt von Wildenbruch.

Und Stunde auf Stunde nach Stunde verrann,
Die Mönche ſchauten ſich ſtaunend an:
„Er, der unſträflich in Worten und Thaten,
Was kann Medardus für Sünden verrathen?“
Die Vesperglocke mit dumpfen Schall,
Sie rief zur Kapelle die Mönche all’,
Sie beugten die Häupter, ſie knieten im Kreiſe,
Für Bruder Medardus ſie beteten leiſe. —
Da horch, da von ferne herüberklang
Mit klagender Stimme ein düſter Geſang.
Der Prior hob ſich vom Boden empor,
Die Mönche lauſchten und neigten das Ohr:
„Aus Medardus’ Zelle der Sang erklingt,
Das iſt Medardus, der alſo ſingt.“
Sie lauſchten und horchten: „Was mag es ſein?
Das ſind nicht Gebete und Litanei’n,
Das klingt wie ſündige, weltliche Worte?“
Und ſiehe, und ſiehe, herein in die Pforte
Der Beichtiger kam voll Schrecken und Haſt:
„Wir haben den Teufel im Kloſter zu Gaſt!
Medardus iſt dem Verſucher verfallen,
Medardus ringt in des Satans Krallen!“
Der Prior ſetzte die Kerze in Brand,
Die heilig geweihte, und nahm ſie zur Hand,
Die Mönche thaten alle, wie er,
Und hinter dem Prior ſchritten ſie her,
Von Wand und Gewölbe ſcholl dröhnend wieder
Die Klageſtimme der ſingenden Brüder:
„Vor Sündenfrevel, vor Satans Spott,
Bewahr’ uns in Gnaden, allmächtiger Gott“. —
Die Zelle war offen — bleich, hager und mager
Lag Bruder Medardus auf kärglichem Lager,
Die Hände gefaltet in betender Wuth,
Die ſtarrenden Augen voll ſehnender Gluth,
Und von den ſtammelnden Lippen ſprang
Raſtlos und ohn’ Ende der wilde Geſang.
Das Lied das hatte ſo ſeltſamen Ton,
Wie ſehnende Liebe, wie läſternder Hohn,
Als trüge von ferne herüber die Luft
Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft.

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[246/0264] Ernſt von Wildenbruch. Und Stunde auf Stunde nach Stunde verrann, Die Mönche ſchauten ſich ſtaunend an: „Er, der unſträflich in Worten und Thaten, Was kann Medardus für Sünden verrathen?“ Die Vesperglocke mit dumpfen Schall, Sie rief zur Kapelle die Mönche all’, Sie beugten die Häupter, ſie knieten im Kreiſe, Für Bruder Medardus ſie beteten leiſe. — Da horch, da von ferne herüberklang Mit klagender Stimme ein düſter Geſang. Der Prior hob ſich vom Boden empor, Die Mönche lauſchten und neigten das Ohr: „Aus Medardus’ Zelle der Sang erklingt, Das iſt Medardus, der alſo ſingt.“ Sie lauſchten und horchten: „Was mag es ſein? Das ſind nicht Gebete und Litanei’n, Das klingt wie ſündige, weltliche Worte?“ Und ſiehe, und ſiehe, herein in die Pforte Der Beichtiger kam voll Schrecken und Haſt: „Wir haben den Teufel im Kloſter zu Gaſt! Medardus iſt dem Verſucher verfallen, Medardus ringt in des Satans Krallen!“ Der Prior ſetzte die Kerze in Brand, Die heilig geweihte, und nahm ſie zur Hand, Die Mönche thaten alle, wie er, Und hinter dem Prior ſchritten ſie her, Von Wand und Gewölbe ſcholl dröhnend wieder Die Klageſtimme der ſingenden Brüder: „Vor Sündenfrevel, vor Satans Spott, Bewahr’ uns in Gnaden, allmächtiger Gott“. — Die Zelle war offen — bleich, hager und mager Lag Bruder Medardus auf kärglichem Lager, Die Hände gefaltet in betender Wuth, Die ſtarrenden Augen voll ſehnender Gluth, Und von den ſtammelnden Lippen ſprang Raſtlos und ohn’ Ende der wilde Geſang. Das Lied das hatte ſo ſeltſamen Ton, Wie ſehnende Liebe, wie läſternder Hohn, Als trüge von ferne herüber die Luft Fremdländiſcher Blumen beſtrickenden Duft.

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/264>, abgerufen am 25.04.2024.