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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Wolfgang Kirchbach.


Die todten Götter.
Auf einem Friedhof schritt ich hin im Traume,
Es rauschten dunkelragend die Cypressen,
Es dämmerte vom bleichen Wolkenraume,
Die Gräber schliefen rings in Nacht vergessen.
Und in die Friedhofhalle trat ich traurig,
Wo aufgebahrt die todten Götter ruhten
Im offnen Sarkophage. Ernst und schaurig,
So schliefen sie den ew'gen Tod, die Guten.
Und in die Züge staunend stand ich lange
Der süßen Aphrodite, der erblaßten,
Die kalt und lächelnd schlief. Bleich war die Wange
Des todten Zeus. Und ewig sah ich rasten
Im offnen Sarg die Asgardgötter alle.
Es flatterten um Wodans Haupt die Raben
Und nieder schwebten sie, die schnöde Kralle
In ihres Vaters Leichnam zu begraben.
Und weinend sank ich hin am Sarkophage.
Da tönte Orgelklang ernst durch die Halle,
Da war's, als ob die Sonne glänzend tage,
Im reinen Licht erklang's zum Jubelschalle:
Todt sind sie all, die großen Götter,
Gestorben ist ihr stolzer Ruhm;
Im Zeitensturm, im Himmelswetter
Verödet stürzt ihr Heiligthum.

17
Wolfgang Kirchbach.


Die todten Götter.
Auf einem Friedhof ſchritt ich hin im Traume,
Es rauſchten dunkelragend die Cypreſſen,
Es dämmerte vom bleichen Wolkenraume,
Die Gräber ſchliefen rings in Nacht vergeſſen.
Und in die Friedhofhalle trat ich traurig,
Wo aufgebahrt die todten Götter ruhten
Im offnen Sarkophage. Ernſt und ſchaurig,
So ſchliefen ſie den ew’gen Tod, die Guten.
Und in die Züge ſtaunend ſtand ich lange
Der ſüßen Aphrodite, der erblaßten,
Die kalt und lächelnd ſchlief. Bleich war die Wange
Des todten Zeus. Und ewig ſah ich raſten
Im offnen Sarg die Asgardgötter alle.
Es flatterten um Wodans Haupt die Raben
Und nieder ſchwebten ſie, die ſchnöde Kralle
In ihres Vaters Leichnam zu begraben.
Und weinend ſank ich hin am Sarkophage.
Da tönte Orgelklang ernſt durch die Halle,
Da war’s, als ob die Sonne glänzend tage,
Im reinen Licht erklang’s zum Jubelſchalle:
Todt ſind ſie all, die großen Götter,
Geſtorben iſt ihr ſtolzer Ruhm;
Im Zeitenſturm, im Himmelswetter
Verödet ſtürzt ihr Heiligthum.

17
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[[257]/0275] Wolfgang Kirchbach. Die todten Götter. Auf einem Friedhof ſchritt ich hin im Traume, Es rauſchten dunkelragend die Cypreſſen, Es dämmerte vom bleichen Wolkenraume, Die Gräber ſchliefen rings in Nacht vergeſſen. Und in die Friedhofhalle trat ich traurig, Wo aufgebahrt die todten Götter ruhten Im offnen Sarkophage. Ernſt und ſchaurig, So ſchliefen ſie den ew’gen Tod, die Guten. Und in die Züge ſtaunend ſtand ich lange Der ſüßen Aphrodite, der erblaßten, Die kalt und lächelnd ſchlief. Bleich war die Wange Des todten Zeus. Und ewig ſah ich raſten Im offnen Sarg die Asgardgötter alle. Es flatterten um Wodans Haupt die Raben Und nieder ſchwebten ſie, die ſchnöde Kralle In ihres Vaters Leichnam zu begraben. Und weinend ſank ich hin am Sarkophage. Da tönte Orgelklang ernſt durch die Halle, Da war’s, als ob die Sonne glänzend tage, Im reinen Licht erklang’s zum Jubelſchalle: Todt ſind ſie all, die großen Götter, Geſtorben iſt ihr ſtolzer Ruhm; Im Zeitenſturm, im Himmelswetter Verödet ſtürzt ihr Heiligthum. 17

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. [257]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/275>, abgerufen am 29.03.2024.