Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

Bild:
<< vorherige Seite
Wolfgang Kirchbach.
Da müßt' ich nicht blasen den Rachesang
Und singen von alter Sünde,
Dann bebte dem Bruder das Herz nicht bang
Wie Gräser zittern im Winde --
Dann läge der Hirt nicht todt im Gras,
Der König, der Hirte geworden,
Dann starrte sein Antlitz nicht schädelblaß --
Und ich mußt' ihn nimmer ermorden!"


Kornmuhme.
Schwül und schweigend glüht der Mittag,
Schlummert tief im Sonnenzauber.
Flimmernd bebt der blaue Aether,
Müde neigt das Korn die Aehre.
Wie in tiefe Nacht versunken
Strömt der stille Glanz des Tages;
Bang verhalten geht ein Athem
Und ein Summen durch die Weite.
Sieh! da schreitet riesenmächtig
Schwarz wie Nacht zum Himmel ragend,
Schwarz vom dunklen Hemd umflossen
Ein gespenstisch Weib im Korne.
Niederfallen rings die Aehren
Wie vom Schnitter hingebreitet,
Und die blauen Blumen welken,
Werden weiß wie blaue Lippen.
Thränentropfen weint die Mutter,
Brandig stirbt beträuft die Aehre,
In den Himmel ragend schreitet
Ernst die Nacht im Tag von dannen.

Wolfgang Kirchbach.
Da müßt’ ich nicht blaſen den Racheſang
Und ſingen von alter Sünde,
Dann bebte dem Bruder das Herz nicht bang
Wie Gräſer zittern im Winde —
Dann läge der Hirt nicht todt im Gras,
Der König, der Hirte geworden,
Dann ſtarrte ſein Antlitz nicht ſchädelblaß —
Und ich mußt’ ihn nimmer ermorden!“


Kornmuhme.
Schwül und ſchweigend glüht der Mittag,
Schlummert tief im Sonnenzauber.
Flimmernd bebt der blaue Aether,
Müde neigt das Korn die Aehre.
Wie in tiefe Nacht verſunken
Strömt der ſtille Glanz des Tages;
Bang verhalten geht ein Athem
Und ein Summen durch die Weite.
Sieh! da ſchreitet rieſenmächtig
Schwarz wie Nacht zum Himmel ragend,
Schwarz vom dunklen Hemd umfloſſen
Ein geſpenſtiſch Weib im Korne.
Niederfallen rings die Aehren
Wie vom Schnitter hingebreitet,
Und die blauen Blumen welken,
Werden weiß wie blaue Lippen.
Thränentropfen weint die Mutter,
Brandig ſtirbt beträuft die Aehre,
In den Himmel ragend ſchreitet
Ernſt die Nacht im Tag von dannen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <pb facs="#f0279" n="261"/>
            <fw place="top" type="header">Wolfgang Kirchbach.</fw><lb/>
            <lg n="18">
              <l>Da müßt&#x2019; ich nicht bla&#x017F;en den Rache&#x017F;ang</l><lb/>
              <l>Und &#x017F;ingen von alter Sünde,</l><lb/>
              <l>Dann bebte dem Bruder das Herz nicht bang</l><lb/>
              <l>Wie Grä&#x017F;er zittern im Winde &#x2014;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="19">
              <l>Dann läge der Hirt nicht todt im Gras,</l><lb/>
              <l>Der König, der Hirte geworden,</l><lb/>
              <l>Dann &#x017F;tarrte &#x017F;ein Antlitz nicht &#x017F;chädelblaß &#x2014;</l><lb/>
              <l>Und ich mußt&#x2019; ihn nimmer ermorden!&#x201C;</l>
            </lg>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#b">Kornmuhme.</hi> </head><lb/>
          <lg type="poem">
            <lg n="1">
              <l>Schwül und &#x017F;chweigend glüht der Mittag,</l><lb/>
              <l>Schlummert tief im Sonnenzauber.</l><lb/>
              <l>Flimmernd bebt der blaue Aether,</l><lb/>
              <l>Müde neigt das Korn die Aehre.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="2">
              <l>Wie in tiefe Nacht ver&#x017F;unken</l><lb/>
              <l>Strömt der &#x017F;tille Glanz des Tages;</l><lb/>
              <l>Bang verhalten geht ein Athem</l><lb/>
              <l>Und ein Summen durch die Weite.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="3">
              <l>Sieh! da &#x017F;chreitet rie&#x017F;enmächtig</l><lb/>
              <l>Schwarz wie Nacht zum Himmel ragend,</l><lb/>
              <l>Schwarz vom dunklen Hemd umflo&#x017F;&#x017F;en</l><lb/>
              <l>Ein ge&#x017F;pen&#x017F;ti&#x017F;ch Weib im Korne.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="4">
              <l>Niederfallen rings die Aehren</l><lb/>
              <l>Wie vom Schnitter hingebreitet,</l><lb/>
              <l>Und die blauen Blumen welken,</l><lb/>
              <l>Werden weiß wie blaue Lippen.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="5">
              <l>Thränentropfen weint die Mutter,</l><lb/>
              <l>Brandig &#x017F;tirbt beträuft die Aehre,</l><lb/>
              <l>In den Himmel ragend &#x017F;chreitet</l><lb/>
              <l>Ern&#x017F;t die Nacht im Tag von dannen.</l>
            </lg><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0279] Wolfgang Kirchbach. Da müßt’ ich nicht blaſen den Racheſang Und ſingen von alter Sünde, Dann bebte dem Bruder das Herz nicht bang Wie Gräſer zittern im Winde — Dann läge der Hirt nicht todt im Gras, Der König, der Hirte geworden, Dann ſtarrte ſein Antlitz nicht ſchädelblaß — Und ich mußt’ ihn nimmer ermorden!“ Kornmuhme. Schwül und ſchweigend glüht der Mittag, Schlummert tief im Sonnenzauber. Flimmernd bebt der blaue Aether, Müde neigt das Korn die Aehre. Wie in tiefe Nacht verſunken Strömt der ſtille Glanz des Tages; Bang verhalten geht ein Athem Und ein Summen durch die Weite. Sieh! da ſchreitet rieſenmächtig Schwarz wie Nacht zum Himmel ragend, Schwarz vom dunklen Hemd umfloſſen Ein geſpenſtiſch Weib im Korne. Niederfallen rings die Aehren Wie vom Schnitter hingebreitet, Und die blauen Blumen welken, Werden weiß wie blaue Lippen. Thränentropfen weint die Mutter, Brandig ſtirbt beträuft die Aehre, In den Himmel ragend ſchreitet Ernſt die Nacht im Tag von dannen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/279
Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/279>, abgerufen am 19.04.2024.