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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Julius Hart.
Was soll ich thun, was soll ich thun? Du führe mich sicher, ewiger Geist,
Führ' meine Seele, die durch alle Himmel und Zeiten und Räume kreist.
Trage auf Adlers Flügeln mich gewaltig zu den Sternen hinauf,
Auseinander wehen die Wolken, golden thut der Himmel sich auf.
In die bebende Seele fällt mild eine Thräne aus Gottes Aug',
Um die glühende Stirn weht's leise wie ein Frühlingsrosenhauch.
Nun hebe die Augen, mein Liebling du, die voll von bitt'ren Thränen steh'n,
Ich fühl's, ich fühl's im tiefsten Busen, nun darf ich nimmer von dir geh'n.
Siehe, die Welt steht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott,
Trock'ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns ist die Liebe, mit uns ist Gott.
In Feuern lodert die Seele auf, auf flammendem Wagen fährt sie empor
Weit über der Erde düsternde Nacht, und durch der Wolken schattendes Thor.
Hoch über des Tempels Zinnen schwebt sie stark auf mächtigem Flügelpaar,
Von den Schwingen tropft die Sonne, flammenregnend, leuchtend
und klar.
Tief liegt die Welt von Schatten bedeckt, und Thränen und Schmerzen
umhüllen sie dicht,
Und ein Schrei voll wilder Qual aus tausend blassen Munden schrecklich bricht.
Elend und schwach und krank und siech, wie Wasser stürzend von Fall zu Fall,
So sinken die Menschen fahl dahin -- die Sünde jubelt überall.
Und was aus Staub geboren ist, und was gezeugt vom Weibe lebt,
Wer ist so rein, daß wider dich den ersten Stein er zornig hebt.
Doch sieh im Osten glüht es auf, und Palmen wehen im Sonnelicht,
Heilige Lüfte wandeln und fließen um dein blaßes Angesicht.
Blüthen flattern und schweben im Winde und der sonnengeküßte Quell
Gießt durch duftende Rosenbüsche seine Wasser wolkenhell.
Ueber die Blumen, über die Palmen fliegen Engelschaaren empor,
Und es jubelt mit hellem Munde durch die Lüfte ihr heiliger Chor:

Julius Hart.
Was ſoll ich thun, was ſoll ich thun? Du führe mich ſicher, ewiger Geiſt,
Führ’ meine Seele, die durch alle Himmel und Zeiten und Räume kreiſt.
Trage auf Adlers Flügeln mich gewaltig zu den Sternen hinauf,
Auseinander wehen die Wolken, golden thut der Himmel ſich auf.
In die bebende Seele fällt mild eine Thräne aus Gottes Aug’,
Um die glühende Stirn weht’s leiſe wie ein Frühlingsroſenhauch.
Nun hebe die Augen, mein Liebling du, die voll von bitt’ren Thränen ſteh’n,
Ich fühl’s, ich fühl’s im tiefſten Buſen, nun darf ich nimmer von dir geh’n.
Siehe, die Welt ſteht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott,
Trock’ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns iſt die Liebe, mit uns iſt Gott.
In Feuern lodert die Seele auf, auf flammendem Wagen fährt ſie empor
Weit über der Erde düſternde Nacht, und durch der Wolken ſchattendes Thor.
Hoch über des Tempels Zinnen ſchwebt ſie ſtark auf mächtigem Flügelpaar,
Von den Schwingen tropft die Sonne, flammenregnend, leuchtend
und klar.
Tief liegt die Welt von Schatten bedeckt, und Thränen und Schmerzen
umhüllen ſie dicht,
Und ein Schrei voll wilder Qual aus tauſend blaſſen Munden ſchrecklich bricht.
Elend und ſchwach und krank und ſiech, wie Waſſer ſtürzend von Fall zu Fall,
So ſinken die Menſchen fahl dahin — die Sünde jubelt überall.
Und was aus Staub geboren iſt, und was gezeugt vom Weibe lebt,
Wer iſt ſo rein, daß wider dich den erſten Stein er zornig hebt.
Doch ſieh im Oſten glüht es auf, und Palmen wehen im Sonnelicht,
Heilige Lüfte wandeln und fließen um dein blaßes Angeſicht.
Blüthen flattern und ſchweben im Winde und der ſonnengeküßte Quell
Gießt durch duftende Roſenbüſche ſeine Waſſer wolkenhell.
Ueber die Blumen, über die Palmen fliegen Engelſchaaren empor,
Und es jubelt mit hellem Munde durch die Lüfte ihr heiliger Chor:

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[62/0080] Julius Hart. Was ſoll ich thun, was ſoll ich thun? Du führe mich ſicher, ewiger Geiſt, Führ’ meine Seele, die durch alle Himmel und Zeiten und Räume kreiſt. Trage auf Adlers Flügeln mich gewaltig zu den Sternen hinauf, Auseinander wehen die Wolken, golden thut der Himmel ſich auf. In die bebende Seele fällt mild eine Thräne aus Gottes Aug’, Um die glühende Stirn weht’s leiſe wie ein Frühlingsroſenhauch. Nun hebe die Augen, mein Liebling du, die voll von bitt’ren Thränen ſteh’n, Ich fühl’s, ich fühl’s im tiefſten Buſen, nun darf ich nimmer von dir geh’n. Siehe, die Welt ſteht wider uns auf mit Hohn und Lachen und kaltem Spott, Trock’ne die Thränen vom Auge dir ab, mit uns iſt die Liebe, mit uns iſt Gott. In Feuern lodert die Seele auf, auf flammendem Wagen fährt ſie empor Weit über der Erde düſternde Nacht, und durch der Wolken ſchattendes Thor. Hoch über des Tempels Zinnen ſchwebt ſie ſtark auf mächtigem Flügelpaar, Von den Schwingen tropft die Sonne, flammenregnend, leuchtend und klar. Tief liegt die Welt von Schatten bedeckt, und Thränen und Schmerzen umhüllen ſie dicht, Und ein Schrei voll wilder Qual aus tauſend blaſſen Munden ſchrecklich bricht. Elend und ſchwach und krank und ſiech, wie Waſſer ſtürzend von Fall zu Fall, So ſinken die Menſchen fahl dahin — die Sünde jubelt überall. Und was aus Staub geboren iſt, und was gezeugt vom Weibe lebt, Wer iſt ſo rein, daß wider dich den erſten Stein er zornig hebt. Doch ſieh im Oſten glüht es auf, und Palmen wehen im Sonnelicht, Heilige Lüfte wandeln und fließen um dein blaßes Angeſicht. Blüthen flattern und ſchweben im Winde und der ſonnengeküßte Quell Gießt durch duftende Roſenbüſche ſeine Waſſer wolkenhell. Ueber die Blumen, über die Palmen fliegen Engelſchaaren empor, Und es jubelt mit hellem Munde durch die Lüfte ihr heiliger Chor:

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/80>, abgerufen am 25.04.2024.