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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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Von Volksliedern.

An
Herrn Kapellmeister Reichardt
.

Wenn das Volk beym Einzuge seines Helden die Pferde vom
Wagen spannt, so thut es das wohl nicht, weil es besser ihn
zu ziehen meint, eben so spreche ich von Volksliedern im All-
gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewähren nicht
aber die wichtigen Untersuchungen über Einzelne derselben zu
verdrängen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen spreche, findet
in unsrer Befreundung sein Recht und in der Sache seinen
Grund. Haben Sie doch Selbst mehr gethan für alten deutschen
Volksgesang, als einer der lebenden Musiker, haben Sie ihn
doch nach seiner Würdigkeit den lesenden Ständen mitgetheilt,
haben Sie ihn doch sogar auf die Bühne gebracht, in allem
Hohen ist kein Ueberdruß, so werden Sie Sich gern wieder mit
mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden --
Ich führe ihnen manche Beobachtung vor, aus verschiedenen
Zeiten, aus verschiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben,
daß nur Volkslieder erhört werden, daß alles andre vom Ohre
aller Zeit überhört wird. -- Was ist erhort? -- Alles was

Von Volksliedern.

An
Herrn Kapellmeiſter Reichardt
.

Wenn das Volk beym Einzuge ſeines Helden die Pferde vom
Wagen ſpannt, ſo thut es das wohl nicht, weil es beſſer ihn
zu ziehen meint, eben ſo ſpreche ich von Volksliedern im All-
gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewaͤhren nicht
aber die wichtigen Unterſuchungen uͤber Einzelne derſelben zu
verdraͤngen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen ſpreche, findet
in unſrer Befreundung ſein Recht und in der Sache ſeinen
Grund. Haben Sie doch Selbſt mehr gethan fuͤr alten deutſchen
Volksgeſang, als einer der lebenden Muſiker, haben Sie ihn
doch nach ſeiner Wuͤrdigkeit den leſenden Staͤnden mitgetheilt,
haben Sie ihn doch ſogar auf die Buͤhne gebracht, in allem
Hohen iſt kein Ueberdruß, ſo werden Sie Sich gern wieder mit
mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden —
Ich fuͤhre ihnen manche Beobachtung vor, aus verſchiedenen
Zeiten, aus verſchiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben,
daß nur Volkslieder erhoͤrt werden, daß alles andre vom Ohre
aller Zeit uͤberhoͤrt wird. — Was iſt erhort? — Alles was

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[[435]/0444] Von Volksliedern. An Herrn Kapellmeiſter Reichardt. Wenn das Volk beym Einzuge ſeines Helden die Pferde vom Wagen ſpannt, ſo thut es das wohl nicht, weil es beſſer ihn zu ziehen meint, eben ſo ſpreche ich von Volksliedern im All- gemeinen nur darum, einen guten Sinn zu bewaͤhren nicht aber die wichtigen Unterſuchungen uͤber Einzelne derſelben zu verdraͤngen oder aufzugeben; daß ich zu Ihnen ſpreche, findet in unſrer Befreundung ſein Recht und in der Sache ſeinen Grund. Haben Sie doch Selbſt mehr gethan fuͤr alten deutſchen Volksgeſang, als einer der lebenden Muſiker, haben Sie ihn doch nach ſeiner Wuͤrdigkeit den leſenden Staͤnden mitgetheilt, haben Sie ihn doch ſogar auf die Buͤhne gebracht, in allem Hohen iſt kein Ueberdruß, ſo werden Sie Sich gern wieder mit mir zu einer hohen und herrlichen guten Sache hinwenden — Ich fuͤhre ihnen manche Beobachtung vor, aus verſchiedenen Zeiten, aus verſchiedenen Gegenden, alle einig in dem Glauben, daß nur Volkslieder erhoͤrt werden, daß alles andre vom Ohre aller Zeit uͤberhoͤrt wird. — Was iſt erhort? — Alles was

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. [435]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/444>, abgerufen am 28.03.2024.