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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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Worunter zwey Verliebte saßen,
Vor Lieb' ihr Leid vergaßen.

"Feins Liebchen wir müssen von einander,
"Ich muß noch sieben Jahre wandern;"
"Mußt du noch sieben Jahr wandern,
"So heurath ich mir keinen andern."
Und als nun die sieben Jahr um waren,
Sie meinte ihr Liebchen käme bald,
Sie ging wohl in den Garten,
Ihr feines Liebchen zu erwarten.
Sie ging wohl in das grüne Holz,
Da kam ein Reuter geritten stolz;
"Gott grüße dich Mägdlein feine,
"Was machst du hier alleine.
"Ist dir dein Vater oder Mutter gram,
"Oder hast du heimlich einen Mann?"
"Mein Vater und Mutter sind mir nicht gram,
"Ich hab' auch heimlich keinen Mann.
"Gestern wars drey Wochen über sieben Jahr,
"Da mein feines Liebchen ausgewandert war."
"Gestern bin ich geritten durch eine Stadt,
"Da dein feins Liebchen hat Hochzeit gehabt.
"Was thust du ihm denn wünschen,
"Daß er nicht gehalten seine Treu?"
"Ich wünsch ihm so viel gute Zeit,
"So viel wie Sand am Meere breit."

Worunter zwey Verliebte ſaßen,
Vor Lieb' ihr Leid vergaßen.

„Feins Liebchen wir muͤſſen von einander,
„Ich muß noch ſieben Jahre wandern;“
„Mußt du noch ſieben Jahr wandern,
„So heurath ich mir keinen andern.“
Und als nun die ſieben Jahr um waren,
Sie meinte ihr Liebchen kaͤme bald,
Sie ging wohl in den Garten,
Ihr feines Liebchen zu erwarten.
Sie ging wohl in das gruͤne Holz,
Da kam ein Reuter geritten ſtolz;
„Gott gruͤße dich Maͤgdlein feine,
„Was machſt du hier alleine.
„Iſt dir dein Vater oder Mutter gram,
„Oder haſt du heimlich einen Mann?“
„Mein Vater und Mutter ſind mir nicht gram,
„Ich hab' auch heimlich keinen Mann.
„Geſtern wars drey Wochen uͤber ſieben Jahr,
„Da mein feines Liebchen ausgewandert war.“
„Geſtern bin ich geritten durch eine Stadt,
„Da dein feins Liebchen hat Hochzeit gehabt.
„Was thuſt du ihm denn wuͤnſchen,
„Daß er nicht gehalten ſeine Treu?“
„Ich wuͤnſch ihm ſo viel gute Zeit,
„So viel wie Sand am Meere breit.“

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[62/0071] Worunter zwey Verliebte ſaßen, Vor Lieb' ihr Leid vergaßen. „Feins Liebchen wir muͤſſen von einander, „Ich muß noch ſieben Jahre wandern;“ „Mußt du noch ſieben Jahr wandern, „So heurath ich mir keinen andern.“ Und als nun die ſieben Jahr um waren, Sie meinte ihr Liebchen kaͤme bald, Sie ging wohl in den Garten, Ihr feines Liebchen zu erwarten. Sie ging wohl in das gruͤne Holz, Da kam ein Reuter geritten ſtolz; „Gott gruͤße dich Maͤgdlein feine, „Was machſt du hier alleine. „Iſt dir dein Vater oder Mutter gram, „Oder haſt du heimlich einen Mann?“ „Mein Vater und Mutter ſind mir nicht gram, „Ich hab' auch heimlich keinen Mann. „Geſtern wars drey Wochen uͤber ſieben Jahr, „Da mein feines Liebchen ausgewandert war.“ „Geſtern bin ich geritten durch eine Stadt, „Da dein feins Liebchen hat Hochzeit gehabt. „Was thuſt du ihm denn wuͤnſchen, „Daß er nicht gehalten ſeine Treu?“ „Ich wuͤnſch ihm ſo viel gute Zeit, „So viel wie Sand am Meere breit.“

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/71>, abgerufen am 25.04.2024.