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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808.

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Vorladung vor Gottes Gericht.

(Mündlich.)

Es sprach eine Mutter zu ihrem Sohn:
"Must heirathen, was sagst du dazu,
"Du must eine andre heirathen,
"Dein feines Lieb must du nun lassen."
"Ach nein, ach nein, das kann nicht seyn,
"Daß ich muß scheiden von meinem Schätzelein,
"Wir haben einander genommen,
"Können nicht mehr von einander kommen."
"Habest du genommen, wen du willt,
"Du bist mein Kind und folgest mir nit?"
Ey Mutter, jezt will ich dir folgen,
Ey geh es mir, wie es auch wolle.
Und da es war am Hochzeittag,
Und alle Leut so lustig warn,
Der gute Gesell war so betrübet
Von wegen seiner andern Herzliebsten.
Es stand nicht länger als drey Tage an,
Der gute Gesell so tödtlich krank war,
Er käm seiner Liebsten vor den Laden,
Ein Gott behüt will er von ihr haben.
Sie aber gab einen harten Fluch,
Davon er schon hatte zu viel und genug;
Ich will ihn meinen Aeltern aufladen,
Ich will beyde aufs jüngste Gericht laden.

Vorladung vor Gottes Gericht.

(Muͤndlich.)

Es ſprach eine Mutter zu ihrem Sohn:
„Muſt heirathen, was ſagſt du dazu,
„Du muſt eine andre heirathen,
„Dein feines Lieb muſt du nun laſſen.“
„Ach nein, ach nein, das kann nicht ſeyn,
„Daß ich muß ſcheiden von meinem Schaͤtzelein,
„Wir haben einander genommen,
„Koͤnnen nicht mehr von einander kommen.“
„Habeſt du genommen, wen du willt,
„Du biſt mein Kind und folgeſt mir nit?“
Ey Mutter, jezt will ich dir folgen,
Ey geh es mir, wie es auch wolle.
Und da es war am Hochzeittag,
Und alle Leut ſo luſtig warn,
Der gute Geſell war ſo betruͤbet
Von wegen ſeiner andern Herzliebſten.
Es ſtand nicht laͤnger als drey Tage an,
Der gute Geſell ſo toͤdtlich krank war,
Er kaͤm ſeiner Liebſten vor den Laden,
Ein Gott behuͤt will er von ihr haben.
Sie aber gab einen harten Fluch,
Davon er ſchon hatte zu viel und genug;
Ich will ihn meinen Aeltern aufladen,
Ich will beyde aufs juͤngſte Gericht laden.

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[208/0220] Vorladung vor Gottes Gericht. (Muͤndlich.) Es ſprach eine Mutter zu ihrem Sohn: „Muſt heirathen, was ſagſt du dazu, „Du muſt eine andre heirathen, „Dein feines Lieb muſt du nun laſſen.“ „Ach nein, ach nein, das kann nicht ſeyn, „Daß ich muß ſcheiden von meinem Schaͤtzelein, „Wir haben einander genommen, „Koͤnnen nicht mehr von einander kommen.“ „Habeſt du genommen, wen du willt, „Du biſt mein Kind und folgeſt mir nit?“ Ey Mutter, jezt will ich dir folgen, Ey geh es mir, wie es auch wolle. Und da es war am Hochzeittag, Und alle Leut ſo luſtig warn, Der gute Geſell war ſo betruͤbet Von wegen ſeiner andern Herzliebſten. Es ſtand nicht laͤnger als drey Tage an, Der gute Geſell ſo toͤdtlich krank war, Er kaͤm ſeiner Liebſten vor den Laden, Ein Gott behuͤt will er von ihr haben. Sie aber gab einen harten Fluch, Davon er ſchon hatte zu viel und genug; Ich will ihn meinen Aeltern aufladen, Ich will beyde aufs juͤngſte Gericht laden.

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn02_1808/220>, abgerufen am 20.04.2024.