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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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An Goethe.


Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage,
für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück
umfaßt; mein Sohn sei Dein Freund, Dein Bruder,
der Dich gewiß liebt etc.

Solche Worte schreibt mir Goethe's Mutter; zu
was berechtigen mich diese? -- Auch brach es los wie
ein Damm in meinem Herzen; -- ein Menschenkind,
einsam auf einem Fels, von Stürmen umbraus't, seiner
selbst ungewiß, hin- und herschwankend, wie Dornen
und Disteln um es her -- so bin ich; so war ich da
ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend'
ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und
kann ihm mit dem von seinen Strahlen glühenden An-
gesicht beweisen, daß er mich durchdringt. O Gott!
darf ich auch? -- und bin ich nicht allzu kühn?


An Goethe.


Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage,
für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück
umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder,
der Dich gewiß liebt ꝛc.

Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu
was berechtigen mich dieſe? — Auch brach es los wie
ein Damm in meinem Herzen; — ein Menſchenkind,
einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ't, ſeiner
ſelbſt ungewiß, hin- und herſchwankend, wie Dornen
und Diſteln um es her — ſo bin ich; ſo war ich da
ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend'
ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und
kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden An-
geſicht beweiſen, daß er mich durchdringt. O Gott!
darf ich auch? — und bin ich nicht allzu kühn?


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[[115]/0147] An Goethe. Kaſſel, den 15. Mai 1807. Liebe, liebe Tochter! Nenne mich für alle Tage, für alle Zukunft mit dem einen Namen, der mein Glück umfaßt; mein Sohn ſei Dein Freund, Dein Bruder, der Dich gewiß liebt ꝛc. Solche Worte ſchreibt mir Goethe's Mutter; zu was berechtigen mich dieſe? — Auch brach es los wie ein Damm in meinem Herzen; — ein Menſchenkind, einſam auf einem Fels, von Stürmen umbrauſ't, ſeiner ſelbſt ungewiß, hin- und herſchwankend, wie Dornen und Diſteln um es her — ſo bin ich; ſo war ich da ich meinen Herrn noch nicht erkannt hatte. Nun wend' ich mich wie die Sonnenblume nach meinem Gott, und kann ihm mit dem von ſeinen Strahlen glühenden An- geſicht beweiſen, daß er mich durchdringt. O Gott! darf ich auch? — und bin ich nicht allzu kühn?

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. [115]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/147>, abgerufen am 29.03.2024.