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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Wenn wir hier bleiben, dann schreib' ich dir mehr heute
Nachmittag, denn ich wollte Dir von Musik sagen,
und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zusammen-
hängt -- das bohrt mir schon lange im Kopf.

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß schlafen.


Ich bin sehr müde, lieber Freund, und würde Dir
nicht schreiben, aber ich seh', daß diese Blätter auf die-
ser wunderlichen Kreuz- und Querreise sich zu etwas
ganzem bilden, und da will ich doch nicht versäumen,
wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages
fest zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechselnd
ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in
St. Goarshausen geblieben, und haben den Rheinfels
erstiegen; meine Hände sind von Dornen geritzt und
meine Kniee zittern noch von der Anstrengung, denn
ich war voran und wählte den kürzesten und steilsten
Weg. Hier oben sieht es so feierlich und düster aus:
eine Reihe nackter Felsen schieben sich gedrängt hinter
einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten
Burgtrümmern gekrönt; und so treten sie keck ins Fluß-
bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen

Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib' ich dir mehr heute
Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen,
und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zuſammen-
hängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf.

Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen.


Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir
nicht ſchreiben, aber ich ſeh', daß dieſe Blätter auf die-
ſer wunderlichen Kreuz- und Querreiſe ſich zu etwas
ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen,
wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages
feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd
ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in
St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels
erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und
meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn
ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten
Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus:
eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter
einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten
Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß-
bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen

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[274/0306] Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib' ich dir mehr heute Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen, und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zuſammen- hängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf. Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen. Am Abend. Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht ſchreiben, aber ich ſeh', daß dieſe Blätter auf die- ſer wunderlichen Kreuz- und Querreiſe ſich zu etwas ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus: eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß- bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/306>, abgerufen am 19.04.2024.