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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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mit Lust wieder heraufkömmst und von Deiner tieferen
Welt sprichst, dann wird Dich's trösten, denn die Welt
wird nie mit Dir zusammenhängen, Du wirst keinen
andern Ausweg haben als zurück durch diesen Brun-
nen in den Zaubergarten Deiner Phantasie; es ist aber
keine Phantasie, es ist eine Wahrheit, die sich nur
in ihr spiegelt. Der Genius benützt die Phantasie,
um unter ihren Formen das göttliche, was der Men-
schengeist in seiner idealen Erscheinung nicht fassen
könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirst kei-
nen andern Weg des Genusses in Deinem Leben ha-
ben, als den sich die Kinder versprechen von Zauber-
höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch sie
gekommen so findet man blühende Gärten, Wunder-
früchte, krystallne Paläste, wo eine noch unbegriffne
Musik erschallt, und die Sonne mit ihren Strahlen
Brücken baut, auf denen man festen Fußes in ihr Cen-
trum spazieren kann; -- das alles wird sich Dir in die-
sen Blättern zu einem Schlüssel bilden, mit dem Du
vielleicht tief versunkene Reiche wieder aufschließen kannst,
drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht solchen
Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, sondern lerne mit
Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den
Geist geboren wird; -- wenn er erst in Dich eingefleischt

mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen
Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt
wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen
andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun-
nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber
keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur
in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie,
um unter ihren Formen das göttliche, was der Men-
ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen
könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei-
nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha-
ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber-
höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie
gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder-
früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne
Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen
Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen-
trum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in die-
ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du
vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt,
drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen
Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit
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[80/0112] mit Luſt wieder heraufkömmſt und von Deiner tieferen Welt ſprichſt, dann wird Dich's tröſten, denn die Welt wird nie mit Dir zuſammenhängen, Du wirſt keinen andern Ausweg haben als zurück durch dieſen Brun- nen in den Zaubergarten Deiner Phantaſie; es iſt aber keine Phantaſie, es iſt eine Wahrheit, die ſich nur in ihr ſpiegelt. Der Genius benützt die Phantaſie, um unter ihren Formen das göttliche, was der Men- ſchengeiſt in ſeiner idealen Erſcheinung nicht faſſen könnte, mitzutheilen oder einzuflößen; ja Du wirſt kei- nen andern Weg des Genuſſes in Deinem Leben ha- ben, als den ſich die Kinder verſprechen von Zauber- höhlen, von tiefen Brunnen; wenn man durch ſie gekommen ſo findet man blühende Gärten, Wunder- früchte, kryſtallne Paläſte, wo eine noch unbegriffne Muſik erſchallt, und die Sonne mit ihren Strahlen Brücken baut, auf denen man feſten Fußes in ihr Cen- trum ſpazieren kann; — das alles wird ſich Dir in die- ſen Blättern zu einem Schlüſſel bilden, mit dem Du vielleicht tief verſunkene Reiche wieder aufſchließen kannſt, drum verliere mir nichts, und wehre auch nicht ſolchen Reiz, der Dich zum Schreiben treibt, ſondern lerne mit Schmerzen denken, ohne welche nie der Genius in den Geiſt geboren wird; — wenn er erſt in Dich eingefleiſcht

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/112>, abgerufen am 28.03.2024.