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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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len soll, womit ich's verschuldet habe, und den die gute
Mutter so heiter und launig ertragen hat; sie hat eine
Geschichte daraus zusammengesponnen, die sie mit tau-
send Plaisir erzählt; sie könnte es also selbst viel besser
schreiben, das will sie nicht, ich soll's zu meiner Strafe
erzählen, und da fühl' ich mich ganz beschämt.

Ich sollte ihr den Gall bringen, und führte ihr un-
ter seinem Namen den Tieck zu; sie warf gleich ihre
Kopfbedeckung ab, setzte sich und verlangte, Gall solle
ihren Schädel untersuchen, ob die großen Eigenschaften
ihres Sohnes nicht durch sie auf ihn übergegangen
sein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn
ich ließ ihm keinen Moment um der Mutter den Irr-
thum zu benehmen; sie war gleich in heftigem Streit
mit mir, und verlangte, ich solle ganz still schweigen
und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam
Gall selbst und nannte sich; die Mutter wußte nicht
zu welchem sie sich bekehren solle, besonders da ich stark
gegen den rechten protestirte, jedoch hat er endlich den
Sieg davon getragen, indem er ihr eine sehr schöne Ab-
handlung über die großen Eigenschaften ihres Kopfs
hielt; und ich hab' Verzeihung erhalten und mußte
versprechen sie nicht wieder zu betrügen. Ein paar
Tage später kam eine gar zu schöne Gelegenheit mich

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len ſoll, womit ich's verſchuldet habe, und den die gute
Mutter ſo heiter und launig ertragen hat; ſie hat eine
Geſchichte daraus zuſammengeſponnen, die ſie mit tau-
ſend Plaiſir erzählt; ſie könnte es alſo ſelbſt viel beſſer
ſchreiben, das will ſie nicht, ich ſoll's zu meiner Strafe
erzählen, und da fühl' ich mich ganz beſchämt.

Ich ſollte ihr den Gall bringen, und führte ihr un-
ter ſeinem Namen den Tieck zu; ſie warf gleich ihre
Kopfbedeckung ab, ſetzte ſich und verlangte, Gall ſolle
ihren Schädel unterſuchen, ob die großen Eigenſchaften
ihres Sohnes nicht durch ſie auf ihn übergegangen
ſein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn
ich ließ ihm keinen Moment um der Mutter den Irr-
thum zu benehmen; ſie war gleich in heftigem Streit
mit mir, und verlangte, ich ſolle ganz ſtill ſchweigen
und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam
Gall ſelbſt und nannte ſich; die Mutter wußte nicht
zu welchem ſie ſich bekehren ſolle, beſonders da ich ſtark
gegen den rechten proteſtirte, jedoch hat er endlich den
Sieg davon getragen, indem er ihr eine ſehr ſchöne Ab-
handlung über die großen Eigenſchaften ihres Kopfs
hielt; und ich hab' Verzeihung erhalten und mußte
verſprechen ſie nicht wieder zu betrügen. Ein paar
Tage ſpäter kam eine gar zu ſchöne Gelegenheit mich

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[123/0155] len ſoll, womit ich's verſchuldet habe, und den die gute Mutter ſo heiter und launig ertragen hat; ſie hat eine Geſchichte daraus zuſammengeſponnen, die ſie mit tau- ſend Plaiſir erzählt; ſie könnte es alſo ſelbſt viel beſſer ſchreiben, das will ſie nicht, ich ſoll's zu meiner Strafe erzählen, und da fühl' ich mich ganz beſchämt. Ich ſollte ihr den Gall bringen, und führte ihr un- ter ſeinem Namen den Tieck zu; ſie warf gleich ihre Kopfbedeckung ab, ſetzte ſich und verlangte, Gall ſolle ihren Schädel unterſuchen, ob die großen Eigenſchaften ihres Sohnes nicht durch ſie auf ihn übergegangen ſein möchten; Tieck war in großer Verlegenheit, denn ich ließ ihm keinen Moment um der Mutter den Irr- thum zu benehmen; ſie war gleich in heftigem Streit mit mir, und verlangte, ich ſolle ganz ſtill ſchweigen und dem Gall nicht auf die Sprünge helfen; da kam Gall ſelbſt und nannte ſich; die Mutter wußte nicht zu welchem ſie ſich bekehren ſolle, beſonders da ich ſtark gegen den rechten proteſtirte, jedoch hat er endlich den Sieg davon getragen, indem er ihr eine ſehr ſchöne Ab- handlung über die großen Eigenſchaften ihres Kopfs hielt; und ich hab' Verzeihung erhalten und mußte verſprechen ſie nicht wieder zu betrügen. Ein paar Tage ſpäter kam eine gar zu ſchöne Gelegenheit mich 6*

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/155>, abgerufen am 18.04.2024.