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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die
Zunge bringen könne! --

Nun, da ich's geschrieben habe, erkenne ich erst wie
schwer die Strafe ist, denn ich hab' einen großen Theil
des Papiers beschrieben, ohne auch nur ein Wörtchen
von meinen Angelegenheiten, die mir so sehr im Herzen
liegen anzubringen. Ja, ich schäme mich Ihnen heute
noch was anders zu sagen, als nur meinen Brief mit
Hochachtung und Liebe abzuschließen. Aber Morgen da
fange ich einen neuen Brief an, und der hier soll nichts
gelten.

Bettine.
An Goethe.


Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief
an Sie abgeholt, um doch eher schreiben zu dürfen,
ohne unbescheiden zu sein. Ich möchte gar zu gern recht
vertraulich, kindisch und selbst ungereimt an Sie schrei-
ben dürfen, wie mir's im Kopf käme; -- darf ich? z. B.,
daß ich verliebt war fünf Tage lang, ist das ungereimt?
-- Nun, was spiegelt sich denn in Ihrer Jugend-

hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die
Zunge bringen könne! —

Nun, da ich's geſchrieben habe, erkenne ich erſt wie
ſchwer die Strafe iſt, denn ich hab' einen großen Theil
des Papiers beſchrieben, ohne auch nur ein Wörtchen
von meinen Angelegenheiten, die mir ſo ſehr im Herzen
liegen anzubringen. Ja, ich ſchäme mich Ihnen heute
noch was anders zu ſagen, als nur meinen Brief mit
Hochachtung und Liebe abzuſchließen. Aber Morgen da
fange ich einen neuen Brief an, und der hier ſoll nichts
gelten.

Bettine.
An Goethe.


Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief
an Sie abgeholt, um doch eher ſchreiben zu dürfen,
ohne unbeſcheiden zu ſein. Ich möchte gar zu gern recht
vertraulich, kindiſch und ſelbſt ungereimt an Sie ſchrei-
ben dürfen, wie mir's im Kopf käme; — darf ich? z. B.,
daß ich verliebt war fünf Tage lang, iſt das ungereimt?
— Nun, was ſpiegelt ſich denn in Ihrer Jugend-

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[125/0157] hätte ich doch nimmermehr geglaubt, daß ich's über die Zunge bringen könne! — Nun, da ich's geſchrieben habe, erkenne ich erſt wie ſchwer die Strafe iſt, denn ich hab' einen großen Theil des Papiers beſchrieben, ohne auch nur ein Wörtchen von meinen Angelegenheiten, die mir ſo ſehr im Herzen liegen anzubringen. Ja, ich ſchäme mich Ihnen heute noch was anders zu ſagen, als nur meinen Brief mit Hochachtung und Liebe abzuſchließen. Aber Morgen da fange ich einen neuen Brief an, und der hier ſoll nichts gelten. Bettine. An Goethe. 3ten Juni. Ich habe heut bei der Mutter einliegenden Brief an Sie abgeholt, um doch eher ſchreiben zu dürfen, ohne unbeſcheiden zu ſein. Ich möchte gar zu gern recht vertraulich, kindiſch und ſelbſt ungereimt an Sie ſchrei- ben dürfen, wie mir's im Kopf käme; — darf ich? z. B., daß ich verliebt war fünf Tage lang, iſt das ungereimt? — Nun, was ſpiegelt ſich denn in Ihrer Jugend-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/157>, abgerufen am 19.04.2024.