Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

vom Primas, so ließ sie ihn ein; sie war schon in der
weißen Negligeejacke, aber sie hatte ihren Kopfputz noch
auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg sagte ihr, sein
Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden
Augen gesehen, während der Vorstellung, und er wünsche
sie vor seiner Abreise noch zu sprechen, und möchte sie
doch am andern Tag bei ihm zu Mittag essen. Die
Mutter war sehr geputzt bei diesem Diner das mit al-
lerlei Fürstlichkeiten und sonst merkwürdigen Personen
besetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrscheinlich invi-
tirt war, denn alle drängten sich an sie heran, um sie zu se-
hen und mit ihr zu sprechen. Sie war sehr heiter und bered-
sam, und nur von mir suchte sie sich zu entfernen. Sie sagte
mir nachher, sie habe Angst gehabt, ich möge sie in Verle-
genheit bringen; ich glaube aber, sie hat mir einen
Streich gespielt, denn der Primas sagte mir sehr wun-
derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm
gesagt habe, ich habe einen erhabenen ästhetischen Sinn.
Da nahm er einen schönen Engländer bei der Hand,
einen Schwager des Lord Nelson, und sagte: dieser feine
Mann mit der Habichtsnase der soll Sie zu Tisch füh-
ren, er ist der schönste von der ganzen Gesellschaft, neh-
men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verstand
aber nichts davon. Bei Tisch wechselte er mein Glas,

vom Primas, ſo ließ ſie ihn ein; ſie war ſchon in der
weißen Negligeejacke, aber ſie hatte ihren Kopfputz noch
auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg ſagte ihr, ſein
Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden
Augen geſehen, während der Vorſtellung, und er wünſche
ſie vor ſeiner Abreiſe noch zu ſprechen, und möchte ſie
doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die
Mutter war ſehr geputzt bei dieſem Diner das mit al-
lerlei Fürſtlichkeiten und ſonſt merkwürdigen Perſonen
beſetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrſcheinlich invi-
tirt war, denn alle drängten ſich an ſie heran, um ſie zu ſe-
hen und mit ihr zu ſprechen. Sie war ſehr heiter und bered-
ſam, und nur von mir ſuchte ſie ſich zu entfernen. Sie ſagte
mir nachher, ſie habe Angſt gehabt, ich möge ſie in Verle-
genheit bringen; ich glaube aber, ſie hat mir einen
Streich geſpielt, denn der Primas ſagte mir ſehr wun-
derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm
geſagt habe, ich habe einen erhabenen äſthetiſchen Sinn.
Da nahm er einen ſchönen Engländer bei der Hand,
einen Schwager des Lord Nelſon, und ſagte: dieſer feine
Mann mit der Habichtsnaſe der ſoll Sie zu Tiſch füh-
ren, er iſt der ſchönſte von der ganzen Geſellſchaft, neh-
men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand
aber nichts davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0172" n="140"/>
vom Primas, &#x017F;o ließ &#x017F;ie ihn ein; &#x017F;ie war &#x017F;chon in der<lb/>
weißen Negligeejacke, aber &#x017F;ie hatte ihren Kopfputz noch<lb/>
auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg &#x017F;agte ihr, &#x017F;ein<lb/>
Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden<lb/>
Augen ge&#x017F;ehen, während der Vor&#x017F;tellung, und er wün&#x017F;che<lb/>
&#x017F;ie vor &#x017F;einer Abrei&#x017F;e noch zu &#x017F;prechen, und möchte &#x017F;ie<lb/>
doch am andern Tag bei ihm zu Mittag e&#x017F;&#x017F;en. Die<lb/>
Mutter war &#x017F;ehr geputzt bei die&#x017F;em <hi rendition="#aq">Diner</hi> das mit al-<lb/>
lerlei Für&#x017F;tlichkeiten und &#x017F;on&#x017F;t merkwürdigen Per&#x017F;onen<lb/>
be&#x017F;etzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahr&#x017F;cheinlich invi-<lb/>
tirt war, denn alle drängten &#x017F;ich an &#x017F;ie heran, um &#x017F;ie zu &#x017F;e-<lb/>
hen und mit ihr zu &#x017F;prechen. Sie war &#x017F;ehr heiter und bered-<lb/>
&#x017F;am, und nur von mir &#x017F;uchte &#x017F;ie &#x017F;ich zu entfernen. Sie &#x017F;agte<lb/>
mir nachher, &#x017F;ie habe Ang&#x017F;t gehabt, ich möge &#x017F;ie in Verle-<lb/>
genheit bringen; ich glaube aber, &#x017F;ie hat mir einen<lb/>
Streich ge&#x017F;pielt, denn der Primas &#x017F;agte mir &#x017F;ehr wun-<lb/>
derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm<lb/>
ge&#x017F;agt habe, ich habe einen erhabenen ä&#x017F;theti&#x017F;chen Sinn.<lb/>
Da nahm er einen &#x017F;chönen Engländer bei der Hand,<lb/>
einen Schwager des Lord Nel&#x017F;on, und &#x017F;agte: die&#x017F;er feine<lb/>
Mann mit der Habichtsna&#x017F;e der &#x017F;oll Sie zu Ti&#x017F;ch füh-<lb/>
ren, er i&#x017F;t der &#x017F;chön&#x017F;te von der ganzen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, neh-<lb/>
men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er ver&#x017F;tand<lb/>
aber nichts davon. Bei Ti&#x017F;ch wech&#x017F;elte er mein Glas,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0172] vom Primas, ſo ließ ſie ihn ein; ſie war ſchon in der weißen Negligeejacke, aber ſie hatte ihren Kopfputz noch auf. Der liebenswürdige, feine Dalberg ſagte ihr, ſein Onkel habe von oben herüber ihre Freudeglänzenden Augen geſehen, während der Vorſtellung, und er wünſche ſie vor ſeiner Abreiſe noch zu ſprechen, und möchte ſie doch am andern Tag bei ihm zu Mittag eſſen. Die Mutter war ſehr geputzt bei dieſem Diner das mit al- lerlei Fürſtlichkeiten und ſonſt merkwürdigen Perſonen beſetzt war, denen zu Lieb' die Mutter wahrſcheinlich invi- tirt war, denn alle drängten ſich an ſie heran, um ſie zu ſe- hen und mit ihr zu ſprechen. Sie war ſehr heiter und bered- ſam, und nur von mir ſuchte ſie ſich zu entfernen. Sie ſagte mir nachher, ſie habe Angſt gehabt, ich möge ſie in Verle- genheit bringen; ich glaube aber, ſie hat mir einen Streich geſpielt, denn der Primas ſagte mir ſehr wun- derliche Sachen über Dich, und daß deine Mutter ihm geſagt habe, ich habe einen erhabenen äſthetiſchen Sinn. Da nahm er einen ſchönen Engländer bei der Hand, einen Schwager des Lord Nelſon, und ſagte: dieſer feine Mann mit der Habichtsnaſe der ſoll Sie zu Tiſch füh- ren, er iſt der ſchönſte von der ganzen Geſellſchaft, neh- men Sie vorlieb; der Engländer lächelte, er verſtand aber nichts davon. Bei Tiſch wechſelte er mein Glas,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/172
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/172>, abgerufen am 19.04.2024.