Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Herz schlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir
kniete.

Geheimnisse umschweben Liebende, sie hüllen sie in
ihre Zauberschleier, aus denen sich schöne Träume ent-
falten. Du sitzest mit mir auf grünem Rasen, und trinkst
dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießest die
Neige auf meine Stirn. Aus diesem Traum erwachte
ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt bist. Ich
glaube, daß Du Theil an solchen Träumen hast; daß
Du liebst in solchen Augenblicken; -- wem sollte ich
sonst dies seelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht
gäbst! -- Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag
erwache, dann ist mir alles so gleichgültig, und was
mir auch geboten wird, -- ich entbehre es gern; ja ich
möchte von allem geschieden sein, was man Glück nennt,
und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geist meine
Liebe genießt, so wie meine Seele von deiner Güte sich
nährt.

Ich soll Dir von der Mutter schreiben; -- nun es
ist wunderlich zwischen uns beschaffen, wir sind nicht
mehr so gesprächig, wie sonst, aber doch vergeht kein
Tag, ohne daß ich die Mutter seh'. Wie ich von der
Reise kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über-
nehmen, und obschon ich lieber geschwiegen hätte, so

8*

Herz ſchlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir
kniete.

Geheimniſſe umſchweben Liebende, ſie hüllen ſie in
ihre Zauberſchleier, aus denen ſich ſchöne Träume ent-
falten. Du ſitzeſt mit mir auf grünem Raſen, und trinkſt
dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießeſt die
Neige auf meine Stirn. Aus dieſem Traum erwachte
ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt biſt. Ich
glaube, daß Du Theil an ſolchen Träumen haſt; daß
Du liebſt in ſolchen Augenblicken; — wem ſollte ich
ſonſt dies ſeelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht
gäbſt! — Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag
erwache, dann iſt mir alles ſo gleichgültig, und was
mir auch geboten wird, — ich entbehre es gern; ja ich
möchte von allem geſchieden ſein, was man Glück nennt,
und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geiſt meine
Liebe genießt, ſo wie meine Seele von deiner Güte ſich
nährt.

Ich ſoll Dir von der Mutter ſchreiben; — nun es
iſt wunderlich zwiſchen uns beſchaffen, wir ſind nicht
mehr ſo geſprächig, wie ſonſt, aber doch vergeht kein
Tag, ohne daß ich die Mutter ſeh'. Wie ich von der
Reiſe kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über-
nehmen, und obſchon ich lieber geſchwiegen hätte, ſo

8*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0203" n="171"/>
Herz &#x017F;chlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir<lb/>
kniete.</p><lb/>
          <p>Geheimni&#x017F;&#x017F;e um&#x017F;chweben Liebende, &#x017F;ie hüllen &#x017F;ie in<lb/>
ihre Zauber&#x017F;chleier, aus denen &#x017F;ich &#x017F;chöne Träume ent-<lb/>
falten. Du &#x017F;itze&#x017F;t mit mir auf grünem Ra&#x017F;en, und trink&#x017F;t<lb/>
dunklen Wein aus goldnem Becher, und gieße&#x017F;t die<lb/>
Neige auf meine Stirn. <choice><sic>Ans</sic><corr>Aus</corr></choice> die&#x017F;em Traum erwachte<lb/>
ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt bi&#x017F;t. Ich<lb/>
glaube, daß Du Theil an &#x017F;olchen Träumen ha&#x017F;t; daß<lb/>
Du lieb&#x017F;t in &#x017F;olchen Augenblicken; &#x2014; wem &#x017F;ollte ich<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t dies &#x017F;eelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht<lb/>
gäb&#x017F;t! &#x2014; Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag<lb/>
erwache, dann i&#x017F;t mir alles &#x017F;o gleichgültig, und was<lb/>
mir auch geboten wird, &#x2014; ich entbehre es gern; ja ich<lb/>
möchte von allem ge&#x017F;chieden &#x017F;ein, was man Glück nennt,<lb/>
und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Gei&#x017F;t meine<lb/>
Liebe genießt, &#x017F;o wie meine Seele von deiner Güte &#x017F;ich<lb/>
nährt.</p><lb/>
          <p>Ich &#x017F;oll Dir von der Mutter &#x017F;chreiben; &#x2014; nun es<lb/>
i&#x017F;t wunderlich zwi&#x017F;chen uns be&#x017F;chaffen, wir &#x017F;ind nicht<lb/>
mehr &#x017F;o ge&#x017F;prächig, wie &#x017F;on&#x017F;t, aber doch vergeht kein<lb/>
Tag, ohne daß ich die Mutter &#x017F;eh'. Wie ich von der<lb/>
Rei&#x017F;e kam, da mußte <hi rendition="#g">ich</hi> die Rolle des Erzählens über-<lb/>
nehmen, und ob&#x017F;chon ich lieber ge&#x017F;chwiegen hätte, &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">8*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[171/0203] Herz ſchlagen hören, wie am Abend, wo ich vor Dir kniete. Geheimniſſe umſchweben Liebende, ſie hüllen ſie in ihre Zauberſchleier, aus denen ſich ſchöne Träume ent- falten. Du ſitzeſt mit mir auf grünem Raſen, und trinkſt dunklen Wein aus goldnem Becher, und gießeſt die Neige auf meine Stirn. Aus dieſem Traum erwachte ich heute, voll Freude, daß Du mir geneigt biſt. Ich glaube, daß Du Theil an ſolchen Träumen haſt; daß Du liebſt in ſolchen Augenblicken; — wem ſollte ich ſonſt dies ſeelige Sein verdanken, wenn Du mir's nicht gäbſt! — Und wenn ich denn zum gewöhnlichen Tag erwache, dann iſt mir alles ſo gleichgültig, und was mir auch geboten wird, — ich entbehre es gern; ja ich möchte von allem geſchieden ſein, was man Glück nennt, und nur innerlich das Geheimniß, daß dein Geiſt meine Liebe genießt, ſo wie meine Seele von deiner Güte ſich nährt. Ich ſoll Dir von der Mutter ſchreiben; — nun es iſt wunderlich zwiſchen uns beſchaffen, wir ſind nicht mehr ſo geſprächig, wie ſonſt, aber doch vergeht kein Tag, ohne daß ich die Mutter ſeh'. Wie ich von der Reiſe kam, da mußte ich die Rolle des Erzählens über- nehmen, und obſchon ich lieber geſchwiegen hätte, ſo 8*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/203
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/203>, abgerufen am 16.04.2024.