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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Von Heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen,
wie soll ich loskommen vom Wünschen und Sinnen und
Wähnen; wie soll ich Dir mein treues Herz das sich
von allem zu Dir allein hinüberwendet, aussprechen? --
ich muß schweigen wie damals, als ich vor Dir stand,
um Dich anzusehen. Ach was hätt' ich auch sagen sol-
len? -- ich hatte nichts mehr zu verlangen *).

Gestern waren viele witzige Köpfe im Haus Bren-
tano beisammen, da wurden unter andern gymnastischen
Geistesübungen auch Räthsel aufgegeben, da waren sehr
geschickte Einfälle und wie die Reihe an mich kam, da
wußt ich nichts. Und wie ich in der Verlegenheit mich
umsah, und kein Gesicht das mir einen befreundeten, ver-
ständlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Räthsel:

*)
Warum ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebster, so bestimmt nicht fragen:
Denn eigentlich hab' ich dir nichts zu sagen;
Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände.
Weil ich nicht kommen kann, soll was ich sende
Mein ungetheiltes Herz hinüber tragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.
Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen,
Wie sich im Sinnen, Wünschen, Wähnen, Wollen
Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:

Von Heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen,
wie ſoll ich loskommen vom Wünſchen und Sinnen und
Wähnen; wie ſoll ich Dir mein treues Herz das ſich
von allem zu Dir allein hinüberwendet, ausſprechen? —
ich muß ſchweigen wie damals, als ich vor Dir ſtand,
um Dich anzuſehen. Ach was hätt' ich auch ſagen ſol-
len? — ich hatte nichts mehr zu verlangen *).

Geſtern waren viele witzige Köpfe im Haus Bren-
tano beiſammen, da wurden unter andern gymnaſtiſchen
Geiſtesübungen auch Räthſel aufgegeben, da waren ſehr
geſchickte Einfälle und wie die Reihe an mich kam, da
wußt ich nichts. Und wie ich in der Verlegenheit mich
umſah, und kein Geſicht das mir einen befreundeten, ver-
ſtändlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Räthſel:

*)
Warum ich wieder zum Papier mich wende?
Das mußt du, Liebſter, ſo beſtimmt nicht fragen:
Denn eigentlich hab' ich dir nichts zu ſagen;
Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände.
Weil ich nicht kommen kann, ſoll was ich ſende
Mein ungetheiltes Herz hinüber tragen
Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen:
Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende.
Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen,
Wie ſich im Sinnen, Wünſchen, Wähnen, Wollen
Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:
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[175/0207] Von Heute mag ich Dir nun gar nichts vertrauen, wie ſoll ich loskommen vom Wünſchen und Sinnen und Wähnen; wie ſoll ich Dir mein treues Herz das ſich von allem zu Dir allein hinüberwendet, ausſprechen? — ich muß ſchweigen wie damals, als ich vor Dir ſtand, um Dich anzuſehen. Ach was hätt' ich auch ſagen ſol- len? — ich hatte nichts mehr zu verlangen *). Geſtern waren viele witzige Köpfe im Haus Bren- tano beiſammen, da wurden unter andern gymnaſtiſchen Geiſtesübungen auch Räthſel aufgegeben, da waren ſehr geſchickte Einfälle und wie die Reihe an mich kam, da wußt ich nichts. Und wie ich in der Verlegenheit mich umſah, und kein Geſicht das mir einen befreundeten, ver- ſtändlichen Ausdruck hatte, da erfand ich dies Räthſel: *) Warum ich wieder zum Papier mich wende? Das mußt du, Liebſter, ſo beſtimmt nicht fragen: Denn eigentlich hab' ich dir nichts zu ſagen; Doch kommt's zuletzt in deine lieben Hände. Weil ich nicht kommen kann, ſoll was ich ſende Mein ungetheiltes Herz hinüber tragen Mit Wonnen, Hoffnungen, Entzücken, Plagen: Das alles hat nicht Anfang, hat nicht Ende. Ich mag vom heut'gen Tag dir nichts vertrauen, Wie ſich im Sinnen, Wünſchen, Wähnen, Wollen Mein treues Herz zu dir hinüber wendet:

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/207>, abgerufen am 18.04.2024.