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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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einem Tuch, das ich über meinem Kopf schwenkte, aber
ich wagte nicht über mich zu sehen, aus Furcht in's
Wasser zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war
guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich
hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer
vorüber, -- dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der
Schiffer wollte zu der weißen Gestalt, die er trocknen
Fußes mitten auf dem Flusse stehen sah, und die die
Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen fassen;
endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war,
und nahm mich an Bord seines Dreibords. Da lag
ich auf schmalem Brett, Himmel und Sterne über mir;
wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo
seine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem
sehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und
ihr Fahrzeug anstrichen.

Wie leidenschaftlos wird man, wenn man so frei
und einsam sich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt
sich Ruh' durch alle Glieder, sie ertränkt einen mit sich
selbsten, sie trägt die Seele so still und sanft wie der
Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht
eine Welle plätschern hörte. Da sehnte ich mich nicht
wie sonst meine Gedanken vor Dir auszusprechen, daß
sie gleich den Wellen an der Brandung anschlagen und

einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber
ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's
Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war
guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich
hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer
vorüber, — dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der
Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen
Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die
Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen;
endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war,
und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag
ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir;
wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo
ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem
ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und
ihr Fahrzeug anſtrichen.

Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei
und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt
ſich Ruh' durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich
ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der
Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht
eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht
wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß
ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und

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[224/0256] einem Tuch, das ich über meinem Kopf ſchwenkte, aber ich wagte nicht über mich zu ſehen, aus Furcht in's Waſſer zu fallen. Wie ich umkehren wollte, da war guter Rath theuer; ich konnte kaum begreifen wie ich hingekommen war; es fuhr ein kleiner Seelenverkäufer vorüber, — dem winkte ich, mich mitzunehmen. Der Schiffer wollte zu der weißen Geſtalt, die er trocknen Fußes mitten auf dem Fluſſe ſtehen ſah, und die die Raben für ihre Beute erklärten, kein Zutrauen faſſen; endlich lernte er begreifen wie ich dahin gekommen war, und nahm mich an Bord ſeines Dreibords. Da lag ich auf ſchmalem Brett, Himmel und Sterne über mir; wir fuhren noch eine halbe Stunde abwärts, bis wo ſeine Netze am Ufer hingen; wir konnten von weitem ſehen, wie die Leute bei hellem Feuer Theer kochten und ihr Fahrzeug anſtrichen. Wie leidenſchaftlos wird man, wenn man ſo frei und einſam ſich befindet, wie ich im Kahn; wie ergießt ſich Ruh' durch alle Glieder, ſie ertränkt einen mit ſich ſelbſten, ſie trägt die Seele ſo ſtill und ſanft wie der Rhein mein kleines Fahrzeug, unter dem man auch nicht eine Welle plätſchern hörte. Da ſehnte ich mich nicht wie ſonſt meine Gedanken vor Dir auszuſprechen, daß ſie gleich den Wellen an der Brandung anſchlagen und

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/256>, abgerufen am 24.04.2024.