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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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und den Charakter, der mein Selbst ausspricht, wie dem
Fluß das Bild, das sich in ihm spiegelt.


Heute Morgen schiffte ich noch mit dem launigen,
Rheinbegeisterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au',
seine enthusiastischen Erzählungen waren ganz von dem
O und Ach vergangner schönen Zeiten durchwebt. Er
holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier
nicht im Paradiese gelebt habe, und dann erzählte er
vom Ursprung des Rheins und seinen Windungen durch
wilde Schluchten und einengende Felsthale, und wie er
da nach Norden sich wende und wieder zurückgewiesen
werde links nach Westen, wo er den Bodensee bilde,
und dann so kräftig sich über die entgegenstellenden Fel-
sen stürze; ja, sagte der gute Vogt ganz listig und lu-
stig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe
vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein die
von der Höhe des ungeheuren Urfelsen, der so mannig-
faltige, abwechselnde Bestandtheile hat, niederfließen und
den Rhein bilden, der als Jünglingskind erst sprudelt,
das sind seine Musen, nämlich Wissenschaft, Kunst und
Poesie, und wie da noch mehr herrliche Flüsse sind: der

und den Charakter, der mein Selbſt ausſpricht, wie dem
Fluß das Bild, das ſich in ihm ſpiegelt.


Heute Morgen ſchiffte ich noch mit dem launigen,
Rheinbegeiſterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au',
ſeine enthuſiaſtiſchen Erzählungen waren ganz von dem
O und Ach vergangner ſchönen Zeiten durchwebt. Er
holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier
nicht im Paradieſe gelebt habe, und dann erzählte er
vom Urſprung des Rheins und ſeinen Windungen durch
wilde Schluchten und einengende Felsthale, und wie er
da nach Norden ſich wende und wieder zurückgewieſen
werde links nach Weſten, wo er den Bodenſee bilde,
und dann ſo kräftig ſich über die entgegenſtellenden Fel-
ſen ſtürze; ja, ſagte der gute Vogt ganz liſtig und lu-
ſtig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe
vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein die
von der Höhe des ungeheuren Urfelſen, der ſo mannig-
faltige, abwechſelnde Beſtandtheile hat, niederfließen und
den Rhein bilden, der als Jünglingskind erſt ſprudelt,
das ſind ſeine Muſen, nämlich Wiſſenſchaft, Kunſt und
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[245/0277] und den Charakter, der mein Selbſt ausſpricht, wie dem Fluß das Bild, das ſich in ihm ſpiegelt. Am Abend. Heute Morgen ſchiffte ich noch mit dem launigen, Rheinbegeiſterten Niklas Vogt nach der Ingelheimer Au', ſeine enthuſiaſtiſchen Erzählungen waren ganz von dem O und Ach vergangner ſchönen Zeiten durchwebt. Er holte weit aus und fing von da an, ob Adam hier nicht im Paradieſe gelebt habe, und dann erzählte er vom Urſprung des Rheins und ſeinen Windungen durch wilde Schluchten und einengende Felsthale, und wie er da nach Norden ſich wende und wieder zurückgewieſen werde links nach Weſten, wo er den Bodenſee bilde, und dann ſo kräftig ſich über die entgegenſtellenden Fel- ſen ſtürze; ja, ſagte der gute Vogt ganz liſtig und lu- ſtig, man kann den Fluß ganz und gar mit Goethe vergleichen. Jetzt geben Sie acht: die drei Bächlein die von der Höhe des ungeheuren Urfelſen, der ſo mannig- faltige, abwechſelnde Beſtandtheile hat, niederfließen und den Rhein bilden, der als Jünglingskind erſt ſprudelt, das ſind ſeine Muſen, nämlich Wiſſenſchaft, Kunſt und Poeſie, und wie da noch mehr herrliche Flüſſe ſind: der

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/277>, abgerufen am 29.03.2024.