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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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ben sollte Dir zu bekennen, was sich mir aufdringt,
wem sollte ich's sonst mittheilen! --

Diesen Winter hatte ich eine Spinne in meinem
Zimmer; wenn ich auf der Guitarre spielte, kam sie ei-
lig herab in ein Netz, was sie tiefer ausgespannt hatte.
Ich stellte mich vor sie und fuhr über die Saiten; man
sah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn
ich Accord wechselte, so wechselten ihre Bewegungen, sie
waren unwillkührlich; bei jedem verschiedenen Harpege
wechselte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es ist nicht
anders, -- dies kleine Wesen war freudedurchdrungen
oder geistdurchdrungen, so lang mein Spielen währte;
wenns still war, zog sie sich wieder zurück. Noch ein
kleiner Geselle war eine Maus, der aber mehr der Vo-
calmusik geneigt war; sie erschien meistens, wenn ich die
Tonleiter sang; je stärker ich den Ton anschwellen ließ,
je näher kam sie; in der Mitten Stube blieb sie sitzen;
mein Meister hatte große Freude an dem Thierchen;
wir nahmen uns sehr in Acht, sie nicht zu stören. Wenn
ich Lieder und abwechselnde Melodieen sang, so schien
sie sich zu fürchten; sie hielt dann nicht aus und lief
eilend weg. Also die Tonleiter schien diesem kleinem
Geschöpfchen angemessen, die durchgriff sie, und wer
kann zweiflen: bereitete ein Höheres in ihr vor; diese

ben ſollte Dir zu bekennen, was ſich mir aufdringt,
wem ſollte ich's ſonſt mittheilen! —

Dieſen Winter hatte ich eine Spinne in meinem
Zimmer; wenn ich auf der Guitarre ſpielte, kam ſie ei-
lig herab in ein Netz, was ſie tiefer ausgeſpannt hatte.
Ich ſtellte mich vor ſie und fuhr über die Saiten; man
ſah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn
ich Accord wechſelte, ſo wechſelten ihre Bewegungen, ſie
waren unwillkührlich; bei jedem verſchiedenen Harpege
wechſelte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es iſt nicht
anders, — dies kleine Weſen war freudedurchdrungen
oder geiſtdurchdrungen, ſo lang mein Spielen währte;
wenns ſtill war, zog ſie ſich wieder zurück. Noch ein
kleiner Geſelle war eine Maus, der aber mehr der Vo-
calmuſik geneigt war; ſie erſchien meiſtens, wenn ich die
Tonleiter ſang; je ſtärker ich den Ton anſchwellen ließ,
je näher kam ſie; in der Mitten Stube blieb ſie ſitzen;
mein Meiſter hatte große Freude an dem Thierchen;
wir nahmen uns ſehr in Acht, ſie nicht zu ſtören. Wenn
ich Lieder und abwechſelnde Melodieen ſang, ſo ſchien
ſie ſich zu fürchten; ſie hielt dann nicht aus und lief
eilend weg. Alſo die Tonleiter ſchien dieſem kleinem
Geſchöpfchen angemeſſen, die durchgriff ſie, und wer
kann zweiflen: bereitete ein Höheres in ihr vor; dieſe

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[303/0335] ben ſollte Dir zu bekennen, was ſich mir aufdringt, wem ſollte ich's ſonſt mittheilen! — Dieſen Winter hatte ich eine Spinne in meinem Zimmer; wenn ich auf der Guitarre ſpielte, kam ſie ei- lig herab in ein Netz, was ſie tiefer ausgeſpannt hatte. Ich ſtellte mich vor ſie und fuhr über die Saiten; man ſah deutlich, wie es durch ihre Gliederchen dröhnte; wenn ich Accord wechſelte, ſo wechſelten ihre Bewegungen, ſie waren unwillkührlich; bei jedem verſchiedenen Harpege wechſelte der Rhythmus in ihren Bewegungen; es iſt nicht anders, — dies kleine Weſen war freudedurchdrungen oder geiſtdurchdrungen, ſo lang mein Spielen währte; wenns ſtill war, zog ſie ſich wieder zurück. Noch ein kleiner Geſelle war eine Maus, der aber mehr der Vo- calmuſik geneigt war; ſie erſchien meiſtens, wenn ich die Tonleiter ſang; je ſtärker ich den Ton anſchwellen ließ, je näher kam ſie; in der Mitten Stube blieb ſie ſitzen; mein Meiſter hatte große Freude an dem Thierchen; wir nahmen uns ſehr in Acht, ſie nicht zu ſtören. Wenn ich Lieder und abwechſelnde Melodieen ſang, ſo ſchien ſie ſich zu fürchten; ſie hielt dann nicht aus und lief eilend weg. Alſo die Tonleiter ſchien dieſem kleinem Geſchöpfchen angemeſſen, die durchgriff ſie, und wer kann zweiflen: bereitete ein Höheres in ihr vor; dieſe

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/335>, abgerufen am 25.04.2024.