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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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sitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn so oft sieht, so
bild't Sie sich ein er wär' besser als ich; Sie hat so
schon einmal geglaubt, er wär' ein wahrer Apoll von
Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und
die Fr. Rath Schlosser hat gesagt, daß wie er neugebo-
ren war, so habe man ihn auf ein grünes Billard ge-
legt, da habe er so schön abgestochen und habe aus-
gesehen wie ein glänzender Engel; ist denn Abstechen
eine so große Schönheit? Adieu, ich sitze in einer
Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und schreibe;
schreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte
ihm zu toll vorkommen, denn ich selbst, wenn ich denke:
ich fände meinen Schatz im Kuhstall sitzen und zärtliche
Briefe an mich schreiben, ich weiß auch nicht wie ich
mich benehmen sollte. Doch sitze ich hier oben aus lau-
ter Verzweiflung und weil ich mich versteckt habe, und
weil ich allein seyn möchte, um an ihn zu denken.
Adieu Fr. Rath.

Wir haben gestern bei'm Primas zu Mittag ge-
gessen, es war Fasttag; da waren wunderliche Speisen
die Fleisch vorstellten und doch keins waren. Da wir
ihm vorgestellt wurden, faßte er mich am Kinn und
nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte
wie alt er denn glaubt' daß ich sei, nun, zwölf Jahre

ſitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn ſo oft ſieht, ſo
bild't Sie ſich ein er wär' beſſer als ich; Sie hat ſo
ſchon einmal geglaubt, er wär' ein wahrer Apoll von
Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und
die Fr. Rath Schloſſer hat geſagt, daß wie er neugebo-
ren war, ſo habe man ihn auf ein grünes Billard ge-
legt, da habe er ſo ſchön abgeſtochen und habe aus-
geſehen wie ein glänzender Engel; iſt denn Abſtechen
eine ſo große Schönheit? Adieu, ich ſitze in einer
Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und ſchreibe;
ſchreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte
ihm zu toll vorkommen, denn ich ſelbſt, wenn ich denke:
ich fände meinen Schatz im Kuhſtall ſitzen und zärtliche
Briefe an mich ſchreiben, ich weiß auch nicht wie ich
mich benehmen ſollte. Doch ſitze ich hier oben aus lau-
ter Verzweiflung und weil ich mich verſteckt habe, und
weil ich allein ſeyn möchte, um an ihn zu denken.
Adieu Fr. Rath.

Wir haben geſtern bei'm Primas zu Mittag ge-
geſſen, es war Faſttag; da waren wunderliche Speiſen
die Fleiſch vorſtellten und doch keins waren. Da wir
ihm vorgeſtellt wurden, faßte er mich am Kinn und
nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte
wie alt er denn glaubt' daß ich ſei, nun, zwölf Jahre

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[19/0051] ſitzen, und Sie auch, wenn Sie ihn ſo oft ſieht, ſo bild't Sie ſich ein er wär' beſſer als ich; Sie hat ſo ſchon einmal geglaubt, er wär' ein wahrer Apoll von Schönheit, bis ich Ihr die Augen aufgethan habe, und die Fr. Rath Schloſſer hat geſagt, daß wie er neugebo- ren war, ſo habe man ihn auf ein grünes Billard ge- legt, da habe er ſo ſchön abgeſtochen und habe aus- geſehen wie ein glänzender Engel; iſt denn Abſtechen eine ſo große Schönheit? Adieu, ich ſitze in einer Raufe wo die Kuh den Klee herausfrißt und ſchreibe; ſchreib' Sie das nicht an Ihren Sohn; das könnte ihm zu toll vorkommen, denn ich ſelbſt, wenn ich denke: ich fände meinen Schatz im Kuhſtall ſitzen und zärtliche Briefe an mich ſchreiben, ich weiß auch nicht wie ich mich benehmen ſollte. Doch ſitze ich hier oben aus lau- ter Verzweiflung und weil ich mich verſteckt habe, und weil ich allein ſeyn möchte, um an ihn zu denken. Adieu Fr. Rath. Wir haben geſtern bei'm Primas zu Mittag ge- geſſen, es war Faſttag; da waren wunderliche Speiſen die Fleiſch vorſtellten und doch keins waren. Da wir ihm vorgeſtellt wurden, faßte er mich am Kinn und nannte mich kleiner Engel, liebliches Kind; ich fragte wie alt er denn glaubt' daß ich ſei, nun, zwölf Jahre

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/51>, abgerufen am 25.04.2024.