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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Frau Rath!


Wir sind gestern auf Müllereseln geritten, weit
in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's
durch bewaldete Felswege, links die Aussicht in die
Thalschlucht und rechts die waldige emporsteigende
Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren sehr
verlockt, daß ich schier um meinen Posten gekommen
wär', denn mein Esel ist der Leitesel. Weil ich aber
immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, so
drängte die ganze Gesellschaft auf mich ein und ich
mußte tausend rothe Beeren am Wege stehen lassen.
Heute sind's acht Tage, aber ich schmachte noch danach,
die gespeisten sind vergessen, die ungepflückten brennen
mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig
bereuen wenn ich versäumte was ich das Recht habe
zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß
ich die Ordnung umstoße. Ich häng' mich nicht wie
Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm
in's Zimmer scheint, wenn die geputzten Leute da sind
und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig
bemerkt, wenn die aber weg sind und das Geräusch ist
vorüber, dann hat die Seele um so größere Sehnsucht

Frau Rath!


Wir ſind geſtern auf Müllereſeln geritten, weit
in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's
durch bewaldete Felswege, links die Ausſicht in die
Thalſchlucht und rechts die waldige emporſteigende
Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren ſehr
verlockt, daß ich ſchier um meinen Poſten gekommen
wär', denn mein Eſel iſt der Leiteſel. Weil ich aber
immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, ſo
drängte die ganze Geſellſchaft auf mich ein und ich
mußte tauſend rothe Beeren am Wege ſtehen laſſen.
Heute ſind's acht Tage, aber ich ſchmachte noch danach,
die geſpeiſten ſind vergeſſen, die ungepflückten brennen
mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig
bereuen wenn ich verſäumte was ich das Recht habe
zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß
ich die Ordnung umſtoße. Ich häng' mich nicht wie
Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm
in's Zimmer ſcheint, wenn die geputzten Leute da ſind
und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig
bemerkt, wenn die aber weg ſind und das Geräuſch iſt
vorüber, dann hat die Seele um ſo größere Sehnſucht

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[26/0058] Frau Rath! Schlangenbad. Wir ſind geſtern auf Müllereſeln geritten, weit in's Land hinaus über Rauenthal hinweg. Da geht's durch bewaldete Felswege, links die Ausſicht in die Thalſchlucht und rechts die waldige emporſteigende Felswand. Da haben mich dann die Erdbeeren ſehr verlockt, daß ich ſchier um meinen Poſten gekommen wär', denn mein Eſel iſt der Leiteſel. Weil ich aber immer Halt machte um die Erdbeeren zu pflücken, ſo drängte die ganze Geſellſchaft auf mich ein und ich mußte tauſend rothe Beeren am Wege ſtehen laſſen. Heute ſind's acht Tage, aber ich ſchmachte noch danach, die geſpeiſten ſind vergeſſen, die ungepflückten brennen mich noch auf der Seele. Eben drum würde ich's ewig bereuen wenn ich verſäumte was ich das Recht habe zu genießen, und da braucht Sie nicht zu fürchten daß ich die Ordnung umſtoße. Ich häng' mich nicht wie Blei an meinen Schatz, ich bin wie der Mond der ihm in's Zimmer ſcheint, wenn die geputzten Leute da ſind und die vielen Lichter angezünd't, dann wird er wenig bemerkt, wenn die aber weg ſind und das Geräuſch iſt vorüber, dann hat die Seele um ſo größere Sehnſucht

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/58>, abgerufen am 29.03.2024.