Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

drückte mich an's Herz und sagte: berühr eine Saite,
und sie klingt, und wenn sie auch in langer Zeit keinen
Ton gegeben hätte. Da waren wir still und sprachen
nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich sieben Briefe von
ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem
sagt er: Du bist immer bei der Mutter, das freut mich;
es ist als ob der Zugwind von daher geblasen habe,
und jetzt fühl ich mich gesichert und warm, wenn ich
Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen
erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch
auf dem Tisch zerschnitten hab', und daß Sie mir auf
die Hand geschlagen hat, und hat gesagt: grad' wie
mein Sohn -- auch alle Unarten hast Du von ihm! --

Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie-
der einmal so, daß man alles empfindet aber nichts da-
bei denkt; wenn ich mich recht besinne, so waren wir
im botanischen Garten, grad' wie die Sonn' unterging;
alle Pflanzen waren schon schlaftrunken, die Siebenberg
waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich
wickelte mich in den Mantel und setzt' mich auf die Mauer,
mein Gesicht war vom letzten Sonnenstrahl vergoldet,
besinnen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig
gemacht in der gewaltigen verstummten Natur. Da
schlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä-

drückte mich an's Herz und ſagte: berühr eine Saite,
und ſie klingt, und wenn ſie auch in langer Zeit keinen
Ton gegeben hätte. Da waren wir ſtill und ſprachen
nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich ſieben Briefe von
ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem
ſagt er: Du biſt immer bei der Mutter, das freut mich;
es iſt als ob der Zugwind von daher geblaſen habe,
und jetzt fühl ich mich geſichert und warm, wenn ich
Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen
erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch
auf dem Tiſch zerſchnitten hab', und daß Sie mir auf
die Hand geſchlagen hat, und hat geſagt: grad' wie
mein Sohn — auch alle Unarten haſt Du von ihm! —

Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie-
der einmal ſo, daß man alles empfindet aber nichts da-
bei denkt; wenn ich mich recht beſinne, ſo waren wir
im botaniſchen Garten, grad' wie die Sonn' unterging;
alle Pflanzen waren ſchon ſchlaftrunken, die Siebenberg
waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich
wickelte mich in den Mantel und ſetzt' mich auf die Mauer,
mein Geſicht war vom letzten Sonnenſtrahl vergoldet,
beſinnen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig
gemacht in der gewaltigen verſtummten Natur. Da
ſchlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="52"/>
drückte mich an's Herz und &#x017F;agte: berühr eine Saite,<lb/>
und &#x017F;ie klingt, und wenn &#x017F;ie auch in langer Zeit keinen<lb/>
Ton gegeben hätte. Da waren wir &#x017F;till und &#x017F;prachen<lb/>
nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich &#x017F;ieben Briefe von<lb/>
ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem<lb/>
&#x017F;agt er: Du bi&#x017F;t immer bei der Mutter, das freut mich;<lb/>
es i&#x017F;t als ob der Zugwind von daher gebla&#x017F;en habe,<lb/>
und jetzt fühl ich mich ge&#x017F;ichert und warm, wenn ich<lb/>
Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen<lb/>
erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch<lb/>
auf dem Ti&#x017F;ch zer&#x017F;chnitten hab', und daß Sie mir auf<lb/>
die Hand ge&#x017F;chlagen hat, und hat ge&#x017F;agt: grad' wie<lb/>
mein Sohn &#x2014; auch alle Unarten ha&#x017F;t Du von ihm! &#x2014;</p><lb/>
          <p>Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie-<lb/>
der einmal &#x017F;o, daß man alles empfindet aber nichts da-<lb/>
bei denkt; wenn ich mich recht be&#x017F;inne, &#x017F;o waren wir<lb/>
im botani&#x017F;chen Garten, grad' wie die Sonn' unterging;<lb/>
alle Pflanzen waren &#x017F;chon &#x017F;chlaftrunken, die Siebenberg<lb/>
waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich<lb/>
wickelte mich in den Mantel und &#x017F;etzt' mich auf die Mauer,<lb/>
mein Ge&#x017F;icht war vom letzten Sonnen&#x017F;trahl vergoldet,<lb/>
be&#x017F;innen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig<lb/>
gemacht in der gewaltigen ver&#x017F;tummten Natur. Da<lb/>
&#x017F;chlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0084] drückte mich an's Herz und ſagte: berühr eine Saite, und ſie klingt, und wenn ſie auch in langer Zeit keinen Ton gegeben hätte. Da waren wir ſtill und ſprachen nichts mehr hiervon, aber jetzt hab' ich ſieben Briefe von ihm, und in allen mahnt er mich an Sie; in einem ſagt er: Du biſt immer bei der Mutter, das freut mich; es iſt als ob der Zugwind von daher geblaſen habe, und jetzt fühl ich mich geſichert und warm, wenn ich Deiner und der Mutter gedenke; ich hab' ihm dagegen erzählt, daß ich Ihr mit der Schere das Wachstuch auf dem Tiſch zerſchnitten hab', und daß Sie mir auf die Hand geſchlagen hat, und hat geſagt: grad' wie mein Sohn — auch alle Unarten haſt Du von ihm! — Von Bonn kann ich nichts erzählen, da war's wie- der einmal ſo, daß man alles empfindet aber nichts da- bei denkt; wenn ich mich recht beſinne, ſo waren wir im botaniſchen Garten, grad' wie die Sonn' unterging; alle Pflanzen waren ſchon ſchlaftrunken, die Siebenberg waren vom Abendroth angehaucht, es war kühl, ich wickelte mich in den Mantel und ſetzt' mich auf die Mauer, mein Geſicht war vom letzten Sonnenſtrahl vergoldet, beſinnen macht ich mich nicht, das hätt' mich traurig gemacht in der gewaltigen verſtummten Natur. Da ſchlief ich ein, und da ich erwachte (ein großer Kä-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/84
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/84>, abgerufen am 23.04.2024.