Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

An den Freund.

Vielleicht verscherz' ich Dein bischen Andacht zu
mir, daß ich Dich so tief in den Schacht meines Her-
zens einsenke wo es so wunderlich hergeht, daß die Leute
sagen würden es sei Narrheit. -- Ja Narrheit ist die
rechte Scheidewand zwischen dem ewig Unsterblichen und
dem zeitlich Vergänglichen. Es scheue keiner die irdi-
schen Gewande zu versehren am göttlichen Feuer. Du
bist mein Freund oder bist Du's auch nicht, ich weiß es
nicht, immer muß ich Dich so annehmen, da Du mitten
im Geheimniß meiner Brust stehst wie ein Pfeiler an
den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwim-
mer von gefährlicher Höhe sich in die Fluthen stürzt
vor solchen Augen, denen er seine Kühnheit bewähren
möchte, so wage ich, weil Du mir Zeuge bist diesen dä-
monischen Gewalten mich anheim zu geben, diese Thrä-
nenfluth in der ich spiele, diese Frühlingsbegeistrung
meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in
mir aufsteigen würden mir das Herz zerreißen wenn ich
nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände
was ich hier ausspreche.


An den Freund.

Vielleicht verſcherz' ich Dein bischen Andacht zu
mir, daß ich Dich ſo tief in den Schacht meines Her-
zens einſenke wo es ſo wunderlich hergeht, daß die Leute
ſagen würden es ſei Narrheit. — Ja Narrheit iſt die
rechte Scheidewand zwiſchen dem ewig Unſterblichen und
dem zeitlich Vergänglichen. Es ſcheue keiner die irdi-
ſchen Gewande zu verſehren am göttlichen Feuer. Du
biſt mein Freund oder biſt Du's auch nicht, ich weiß es
nicht, immer muß ich Dich ſo annehmen, da Du mitten
im Geheimniß meiner Bruſt ſtehſt wie ein Pfeiler an
den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwim-
mer von gefährlicher Höhe ſich in die Fluthen ſtürzt
vor ſolchen Augen, denen er ſeine Kühnheit bewähren
möchte, ſo wage ich, weil Du mir Zeuge biſt dieſen dä-
moniſchen Gewalten mich anheim zu geben, dieſe Thrä-
nenfluth in der ich ſpiele, dieſe Frühlingsbegeiſtrung
meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in
mir aufſteigen würden mir das Herz zerreißen wenn ich
nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände
was ich hier ausſpreche.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0218" n="208"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <salute>An den Freund.</salute>
          </opener><lb/>
          <p>Vielleicht ver&#x017F;cherz' ich Dein bischen Andacht zu<lb/>
mir, daß ich Dich &#x017F;o tief in den Schacht meines Her-<lb/>
zens ein&#x017F;enke wo es &#x017F;o wunderlich hergeht, daß die Leute<lb/>
&#x017F;agen würden es &#x017F;ei Narrheit. &#x2014; Ja Narrheit i&#x017F;t die<lb/>
rechte Scheidewand zwi&#x017F;chen dem ewig Un&#x017F;terblichen und<lb/>
dem zeitlich Vergänglichen. Es &#x017F;cheue keiner die irdi-<lb/>
&#x017F;chen Gewande zu ver&#x017F;ehren am göttlichen Feuer. Du<lb/>
bi&#x017F;t mein Freund oder bi&#x017F;t Du's auch nicht, ich weiß es<lb/>
nicht, immer muß ich Dich &#x017F;o annehmen, da Du mitten<lb/>
im Geheimniß meiner Bru&#x017F;t &#x017F;teh&#x017F;t wie ein Pfeiler an<lb/>
den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwim-<lb/>
mer von gefährlicher Höhe &#x017F;ich in die Fluthen &#x017F;türzt<lb/>
vor &#x017F;olchen Augen, denen er &#x017F;eine Kühnheit bewähren<lb/>
möchte, &#x017F;o wage ich, weil <hi rendition="#g">Du</hi> mir Zeuge bi&#x017F;t die&#x017F;en dä-<lb/>
moni&#x017F;chen Gewalten mich anheim zu geben, die&#x017F;e Thrä-<lb/>
nenfluth in der ich &#x017F;piele, die&#x017F;e Frühlingsbegei&#x017F;trung<lb/>
meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in<lb/>
mir auf&#x017F;teigen würden mir das Herz zerreißen wenn ich<lb/>
nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände<lb/>
was ich hier aus&#x017F;preche.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[208/0218] An den Freund. Vielleicht verſcherz' ich Dein bischen Andacht zu mir, daß ich Dich ſo tief in den Schacht meines Her- zens einſenke wo es ſo wunderlich hergeht, daß die Leute ſagen würden es ſei Narrheit. — Ja Narrheit iſt die rechte Scheidewand zwiſchen dem ewig Unſterblichen und dem zeitlich Vergänglichen. Es ſcheue keiner die irdi- ſchen Gewande zu verſehren am göttlichen Feuer. Du biſt mein Freund oder biſt Du's auch nicht, ich weiß es nicht, immer muß ich Dich ſo annehmen, da Du mitten im Geheimniß meiner Bruſt ſtehſt wie ein Pfeiler an den ich mich anlehne, und wie der gewandte Schwim- mer von gefährlicher Höhe ſich in die Fluthen ſtürzt vor ſolchen Augen, denen er ſeine Kühnheit bewähren möchte, ſo wage ich, weil Du mir Zeuge biſt dieſen dä- moniſchen Gewalten mich anheim zu geben, dieſe Thrä- nenfluth in der ich ſpiele, dieſe Frühlingsbegeiſtrung meiner Liebeszeit zu Goethe und die Vorwürfe, die in mir aufſteigen würden mir das Herz zerreißen wenn ich nicht den Freund hätte, der zuhörte und nachempfände was ich hier ausſpreche.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/218
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/218>, abgerufen am 19.04.2024.