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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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nicht geschrieben. Du hast nicht nach mir gefragt in
dieser Zeit, und heut am Abend bin ich zum erstenmal
hinausgegangen, und überlege hier auf der Bank, daß
Du mich vergißt. Die Vögel sind schon gewohnt, daß
ich hier sitze unbeweglich still. -- Wie ist's doch so wun-
derlich hier im fremden Land! -- hierher bin ich gekom-
men an den verlassenen Ort um tief in mich selbst zu
versinken. Da seh ich Bilder, Erinnerungen früherer
Tage, die sich an den heutigen anschließen. Heute wie
sie in der frühen Morgenstunde vor dem römischen
Haus Musik machten, und wie der Herzog hervortrat
und die großen Hunde ungeduldig den Menschen zuvor
eilten und ihm an den Hals sprangen, das kam mir so
feierlich vor wie er sich freundlich ihren ungestümen
Liebkosungen preiß gab, und über sie hinaus dem Volk
winkte, das ihn mit Jauchzen begrüßte. Da theiltest
Du plötzlich die Menge, das Vivat verdoppelte sich bei
Deiner Erscheinung; die beiden hohen Freunde mit ein-
ander auf- und abschreiten zu sehen, hoch an Geist und
Milde, das war dem Volk ein heilig Schauspiel, und sie
sagten alle: welch seltnes Paar! -- Und viel Schönes
wurde von Euch gesprochen, jede Eurer Bewegungen
wurde beachtet: Er lächelt, er wendet sich, der
Herzog stützt sich auf ihn! sie reichen einander

nicht geſchrieben. Du haſt nicht nach mir gefragt in
dieſer Zeit, und heut am Abend bin ich zum erſtenmal
hinausgegangen, und überlege hier auf der Bank, daß
Du mich vergißt. Die Vögel ſind ſchon gewohnt, daß
ich hier ſitze unbeweglich ſtill. — Wie iſt's doch ſo wun-
derlich hier im fremden Land! — hierher bin ich gekom-
men an den verlaſſenen Ort um tief in mich ſelbſt zu
verſinken. Da ſeh ich Bilder, Erinnerungen früherer
Tage, die ſich an den heutigen anſchließen. Heute wie
ſie in der frühen Morgenſtunde vor dem römiſchen
Haus Muſik machten, und wie der Herzog hervortrat
und die großen Hunde ungeduldig den Menſchen zuvor
eilten und ihm an den Hals ſprangen, das kam mir ſo
feierlich vor wie er ſich freundlich ihren ungeſtümen
Liebkoſungen preiß gab, und über ſie hinaus dem Volk
winkte, das ihn mit Jauchzen begrüßte. Da theilteſt
Du plötzlich die Menge, das Vivat verdoppelte ſich bei
Deiner Erſcheinung; die beiden hohen Freunde mit ein-
ander auf- und abſchreiten zu ſehen, hoch an Geiſt und
Milde, das war dem Volk ein heilig Schauſpiel, und ſie
ſagten alle: welch ſeltnes Paar! — Und viel Schönes
wurde von Euch geſprochen, jede Eurer Bewegungen
wurde beachtet: Er lächelt, er wendet ſich, der
Herzog ſtützt ſich auf ihn! ſie reichen einander

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[183/0193] nicht geſchrieben. Du haſt nicht nach mir gefragt in dieſer Zeit, und heut am Abend bin ich zum erſtenmal hinausgegangen, und überlege hier auf der Bank, daß Du mich vergißt. Die Vögel ſind ſchon gewohnt, daß ich hier ſitze unbeweglich ſtill. — Wie iſt's doch ſo wun- derlich hier im fremden Land! — hierher bin ich gekom- men an den verlaſſenen Ort um tief in mich ſelbſt zu verſinken. Da ſeh ich Bilder, Erinnerungen früherer Tage, die ſich an den heutigen anſchließen. Heute wie ſie in der frühen Morgenſtunde vor dem römiſchen Haus Muſik machten, und wie der Herzog hervortrat und die großen Hunde ungeduldig den Menſchen zuvor eilten und ihm an den Hals ſprangen, das kam mir ſo feierlich vor wie er ſich freundlich ihren ungeſtümen Liebkoſungen preiß gab, und über ſie hinaus dem Volk winkte, das ihn mit Jauchzen begrüßte. Da theilteſt Du plötzlich die Menge, das Vivat verdoppelte ſich bei Deiner Erſcheinung; die beiden hohen Freunde mit ein- ander auf- und abſchreiten zu ſehen, hoch an Geiſt und Milde, das war dem Volk ein heilig Schauſpiel, und ſie ſagten alle: welch ſeltnes Paar! — Und viel Schönes wurde von Euch geſprochen, jede Eurer Bewegungen wurde beachtet: Er lächelt, er wendet ſich, der Herzog ſtützt ſich auf ihn! ſie reichen einander

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/193>, abgerufen am 29.03.2024.