Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

und die Seele Dich zu empfinden, und den Geist Dich
zu fassen und zu bekennen, alles wie Du bist in Deiner
innern Wesenheit.

Und wenn dies alles wahr ist was ich hier sage,
und wir werden einst uns wiedersehen in einem höheren
Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geist ge-
wachsen sein werde.


An Goethe. *)

Hier aus den Bergesschluchten hervor wag' ich's
und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal sonst
auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie
ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir
hing, weißt Du noch? -- und wie ich dann nieder klet-
terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf-
ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom
Staub reinigte, und die kleinen Reiser und Moose aus
meinen Flechten sammeltest, und legtest es sanft neben
Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren
sind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit
lautem Ehrenruf, Kränze haben sie vor Dir hergetra-

*) Mit einer Gebirgslandschaft als Vignette.

und die Seele Dich zu empfinden, und den Geiſt Dich
zu faſſen und zu bekennen, alles wie Du biſt in Deiner
innern Weſenheit.

Und wenn dies alles wahr iſt was ich hier ſage,
und wir werden einſt uns wiederſehen in einem höheren
Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geiſt ge-
wachſen ſein werde.


An Goethe. *)

Hier aus den Bergesſchluchten hervor wag' ich's
und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal ſonſt
auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie
ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir
hing, weißt Du noch? — und wie ich dann nieder klet-
terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf-
ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom
Staub reinigte, und die kleinen Reiſer und Mooſe aus
meinen Flechten ſammelteſt, und legteſt es ſanft neben
Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren
ſind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit
lautem Ehrenruf, Kränze haben ſie vor Dir hergetra-

*) Mit einer Gebirgslandſchaft als Vignette.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0207" n="197"/>
und die Seele Dich zu empfinden, und den Gei&#x017F;t Dich<lb/>
zu fa&#x017F;&#x017F;en und zu bekennen, alles wie Du bi&#x017F;t in Deiner<lb/>
innern We&#x017F;enheit.</p><lb/>
        <p>Und wenn dies alles wahr i&#x017F;t was ich hier &#x017F;age,<lb/>
und wir werden ein&#x017F;t uns wieder&#x017F;ehen in einem höheren<lb/>
Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Gei&#x017F;t ge-<lb/>
wach&#x017F;en &#x017F;ein werde.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <salute>An Goethe. <note place="foot" n="*)">Mit einer Gebirgsland&#x017F;chaft als Vignette.</note></salute><lb/>
            <dateline> <hi rendition="#et">22. März 1832.</hi> </dateline>
          </opener><lb/>
          <p>Hier aus den Berges&#x017F;chluchten hervor wag' ich's<lb/>
und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie<lb/>
ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir<lb/>
hing, weißt Du noch? &#x2014; und wie ich dann nieder klet-<lb/>
terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf-<lb/>
ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom<lb/>
Staub reinigte, und die kleinen Rei&#x017F;er und Moo&#x017F;e aus<lb/>
meinen Flechten &#x017F;ammelte&#x017F;t, und legte&#x017F;t es &#x017F;anft neben<lb/>
Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren<lb/>
&#x017F;ind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit<lb/>
lautem Ehrenruf, Kränze haben &#x017F;ie vor Dir hergetra-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[197/0207] und die Seele Dich zu empfinden, und den Geiſt Dich zu faſſen und zu bekennen, alles wie Du biſt in Deiner innern Weſenheit. Und wenn dies alles wahr iſt was ich hier ſage, und wir werden einſt uns wiederſehen in einem höheren Leben, dann denke, daß mein Genie Deinem Geiſt ge- wachſen ſein werde. An Goethe. *) 22. März 1832. Hier aus den Bergesſchluchten hervor wag' ich's und komme ungerufen, unerwartet, wie manchmal ſonſt auf Deinen Wegen. Im Böhmer Gebirg wo ich wie ein Stoßvogel auf dem vorragenden Gefels über Dir hing, weißt Du noch? — und wie ich dann nieder klet- terte ganz erhitzt, daß mir alle Adern im Kopf klopf- ten, und wie Deine Hand meine Augenwimper vom Staub reinigte, und die kleinen Reiſer und Mooſe aus meinen Flechten ſammelteſt, und legteſt es ſanft neben Dich auf den Sitz? Du weißt's nicht mehr. Schaaren ſind an Dir vorübergezogen, die Dich begrüßten mit lautem Ehrenruf, Kränze haben ſie vor Dir hergetra- *) Mit einer Gebirgslandſchaft als Vignette.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/207
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/207>, abgerufen am 18.04.2024.