Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

Heute Morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler
Müller erhalten, der folgendes über Goethe schrieb: Er
starb den seligsten Tod, selbst bewußt, heiter, ohne To-
desahnung bis zum letzten Hauch, ganz schmerzlos. Es
war ein allmählig sanftes Sinken und Verlöschen der
Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war seine letzte For-
derung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er:
"die Fensterladen auf damit mehr Licht eindringe."


An Goethe.

Heute wollen wir der Leyer andre Saiten aufziehen!
Heute bin ich so glücklich! Herr und Meister! Heute
ist mir ein so herrlicher überraschender Entschluß aus
der Seele hervorgegangen, der mich Dir so nah bringen
wird. Du hast mich wie ein läuterndes Feuer durch-
griffen und alles überflüssige, alles Unwesentliche wegge-
zehrt. Es rauscht so selig durch mich -- keine lustvollere,
keine jugendlichere Zeit von heut an bis zu Dir hinüber.

Wer kann sich mit mir messen? -- Was wollen
die? -- die über mich urtheilen? -- Wer mich kennt,
wer mich fühlt, will nicht urtheilen. -- Wie die Sonne
freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz


Heute Morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler
Müller erhalten, der folgendes über Goethe ſchrieb: Er
ſtarb den ſeligſten Tod, ſelbſt bewußt, heiter, ohne To-
desahnung bis zum letzten Hauch, ganz ſchmerzlos. Es
war ein allmählig ſanftes Sinken und Verlöſchen der
Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war ſeine letzte For-
derung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er:
„die Fenſterladen auf damit mehr Licht eindringe.“


An Goethe.

Heute wollen wir der Leyer andre Saiten aufziehen!
Heute bin ich ſo glücklich! Herr und Meiſter! Heute
iſt mir ein ſo herrlicher überraſchender Entſchluß aus
der Seele hervorgegangen, der mich Dir ſo nah bringen
wird. Du haſt mich wie ein läuterndes Feuer durch-
griffen und alles überflüſſige, alles Unweſentliche wegge-
zehrt. Es rauſcht ſo ſelig durch mich — keine luſtvollere,
keine jugendlichere Zeit von heut an bis zu Dir hinüber.

Wer kann ſich mit mir meſſen? — Was wollen
die? — die über mich urtheilen? — Wer mich kennt,
wer mich fühlt, will nicht urtheilen. — Wie die Sonne
freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0242" n="232"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
          <p>Heute Morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler<lb/>
Müller erhalten, der folgendes über Goethe &#x017F;chrieb: Er<lb/>
&#x017F;tarb den &#x017F;elig&#x017F;ten Tod, &#x017F;elb&#x017F;t bewußt, heiter, ohne To-<lb/>
desahnung bis zum letzten Hauch, ganz &#x017F;chmerzlos. Es<lb/>
war ein allmählig &#x017F;anftes Sinken und Verlö&#x017F;chen der<lb/>
Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war &#x017F;eine letzte For-<lb/>
derung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er:<lb/>
&#x201E;die Fen&#x017F;terladen auf damit mehr Licht eindringe.&#x201C;</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <opener>
            <salute>An Goethe.</salute>
          </opener><lb/>
          <p>Heute wollen wir der Leyer andre Saiten aufziehen!<lb/>
Heute bin ich &#x017F;o glücklich! Herr und Mei&#x017F;ter! Heute<lb/>
i&#x017F;t mir ein &#x017F;o herrlicher überra&#x017F;chender Ent&#x017F;chluß aus<lb/>
der Seele hervorgegangen, der mich Dir &#x017F;o nah bringen<lb/>
wird. Du ha&#x017F;t mich wie ein läuterndes Feuer durch-<lb/>
griffen und alles überflü&#x017F;&#x017F;ige, alles Unwe&#x017F;entliche wegge-<lb/>
zehrt. Es rau&#x017F;cht &#x017F;o &#x017F;elig durch mich &#x2014; keine lu&#x017F;tvollere,<lb/>
keine jugendlichere Zeit von heut an bis zu Dir hinüber.</p><lb/>
          <p>Wer kann &#x017F;ich mit mir me&#x017F;&#x017F;en? &#x2014; Was wollen<lb/>
die? &#x2014; <hi rendition="#g">die</hi> über mich urtheilen? &#x2014; Wer mich kennt,<lb/>
wer mich fühlt, will nicht urtheilen. &#x2014; Wie die Sonne<lb/>
freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0242] Heute Morgen hab' ich einen Brief vom Kanzler Müller erhalten, der folgendes über Goethe ſchrieb: Er ſtarb den ſeligſten Tod, ſelbſt bewußt, heiter, ohne To- desahnung bis zum letzten Hauch, ganz ſchmerzlos. Es war ein allmählig ſanftes Sinken und Verlöſchen der Lebensflamme, ohne Kampf. Licht war ſeine letzte For- derung, eine halbe Stunde vor dem Ende befahl er: „die Fenſterladen auf damit mehr Licht eindringe.“ An Goethe. Heute wollen wir der Leyer andre Saiten aufziehen! Heute bin ich ſo glücklich! Herr und Meiſter! Heute iſt mir ein ſo herrlicher überraſchender Entſchluß aus der Seele hervorgegangen, der mich Dir ſo nah bringen wird. Du haſt mich wie ein läuterndes Feuer durch- griffen und alles überflüſſige, alles Unweſentliche wegge- zehrt. Es rauſcht ſo ſelig durch mich — keine luſtvollere, keine jugendlichere Zeit von heut an bis zu Dir hinüber. Wer kann ſich mit mir meſſen? — Was wollen die? — die über mich urtheilen? — Wer mich kennt, wer mich fühlt, will nicht urtheilen. — Wie die Sonne freundlich mit ihren Streiflichtern auf Deinem Antlitz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/242
Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/242>, abgerufen am 18.04.2024.