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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835.

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Freund! Morgendämmerung weckt mich schon, und
ich habe doch gestern tief in die Nacht hinein gewacht.
Freund! süßer! Geliebter! es war eine kurze Zeit des
Schlafs, denn ich hab' von Dir geträumt; im Wachen
oder im Traum, mit Dir, da eilen die Rosse unbändig.
drum pocht das Herz und Wange und Schläfe er-
hitzt, weil die Zeit so rücksichtslos auf die seligen Mi-
nuten vorüberjagt. Wenn die Angst um die Flucht
des Besitzes nicht wär', wie wär' da Lieb' und Lust
ein tiefer Friede, ein Schlaf, ein Behagen der Ruhe!
wenn wir an Gräbern vorüber gehen, und uns besinnen,
wie sie da verdeckt liegen und beschwichtigt, die pochen-
den Herzen, dann befällt uns feierliche Rührung; wenn
aber die Liebe sich einsenken könnte zu zweien, wie sie
es bedarf, so tief abgeschieden wie im Grab, und wenn
auch die Weltgeschichte über die Stätte hintanzte, --
was ging sie uns an? -- ja das kann ich wohl fra-
gen, aber Du nicht.

Was ich träumte? Wir standen aneinander ge-
lehnt im nächtlichen Dämmerlicht, das Sternenlicht spie-
gelte sich in Deinen Augen. Traumlicht, Sternenlicht.
Augenlicht spiegelten in einander. -- Dies Auge, das
hier folgt den Zeilen, die meine Hand an Dich schreibt,

2*

Freund! Morgendämmerung weckt mich ſchon, und
ich habe doch geſtern tief in die Nacht hinein gewacht.
Freund! ſüßer! Geliebter! es war eine kurze Zeit des
Schlafs, denn ich hab' von Dir geträumt; im Wachen
oder im Traum, mit Dir, da eilen die Roſſe unbändig.
drum pocht das Herz und Wange und Schläfe er-
hitzt, weil die Zeit ſo rückſichtslos auf die ſeligen Mi-
nuten vorüberjagt. Wenn die Angſt um die Flucht
des Beſitzes nicht wär', wie wär' da Lieb' und Luſt
ein tiefer Friede, ein Schlaf, ein Behagen der Ruhe!
wenn wir an Gräbern vorüber gehen, und uns beſinnen,
wie ſie da verdeckt liegen und beſchwichtigt, die pochen-
den Herzen, dann befällt uns feierliche Rührung; wenn
aber die Liebe ſich einſenken könnte zu zweien, wie ſie
es bedarf, ſo tief abgeſchieden wie im Grab, und wenn
auch die Weltgeſchichte über die Stätte hintanzte, —
was ging ſie uns an? — ja das kann ich wohl fra-
gen, aber Du nicht.

Was ich träumte? Wir ſtanden aneinander ge-
lehnt im nächtlichen Dämmerlicht, das Sternenlicht ſpie-
gelte ſich in Deinen Augen. Traumlicht, Sternenlicht.
Augenlicht ſpiegelten in einander. — Dies Auge, das
hier folgt den Zeilen, die meine Hand an Dich ſchreibt,

2*
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[27/0037] Freund! Morgendämmerung weckt mich ſchon, und ich habe doch geſtern tief in die Nacht hinein gewacht. Freund! ſüßer! Geliebter! es war eine kurze Zeit des Schlafs, denn ich hab' von Dir geträumt; im Wachen oder im Traum, mit Dir, da eilen die Roſſe unbändig. drum pocht das Herz und Wange und Schläfe er- hitzt, weil die Zeit ſo rückſichtslos auf die ſeligen Mi- nuten vorüberjagt. Wenn die Angſt um die Flucht des Beſitzes nicht wär', wie wär' da Lieb' und Luſt ein tiefer Friede, ein Schlaf, ein Behagen der Ruhe! wenn wir an Gräbern vorüber gehen, und uns beſinnen, wie ſie da verdeckt liegen und beſchwichtigt, die pochen- den Herzen, dann befällt uns feierliche Rührung; wenn aber die Liebe ſich einſenken könnte zu zweien, wie ſie es bedarf, ſo tief abgeſchieden wie im Grab, und wenn auch die Weltgeſchichte über die Stätte hintanzte, — was ging ſie uns an? — ja das kann ich wohl fra- gen, aber Du nicht. Was ich träumte? Wir ſtanden aneinander ge- lehnt im nächtlichen Dämmerlicht, das Sternenlicht ſpie- gelte ſich in Deinen Augen. Traumlicht, Sternenlicht. Augenlicht ſpiegelten in einander. — Dies Auge, das hier folgt den Zeilen, die meine Hand an Dich ſchreibt, 2*

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Zitationshilfe: [Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/37>, abgerufen am 16.04.2024.