Claudine. -- Ich muß die Sonn untergehen lassen und mich besinnen auf morgen früh.
Bettine.
Marburg. December.
Heut Morgen bin ich aus dem Bett gesprungen um das Eis mit meinem Hauch zu schmelzen. Um halb acht kamen die Studenten dem Berg herauf geju¬ belt, es war noch dämmerig und der Nebel so dicht daß sie wie Schatten blos durchschimmerten. Die Me¬ line und ich sehen jeden Morgen mit großem Gaudium wie sie zu unserm Professor Weiß ins Kolleg marschie¬ ren, -- sie können uns nicht sehen, denn unsre Fenster sind hart gefroren, wir steigen auf den Tisch und hau¬ chen an der obersten Scheibe ein Löchelchen ins Eis wo grad ein Aug durchsehen kann; ein jeder hat ein verschiednes Abzeichen, treiben sich immer eine Viertelstunde herum bis sie im Gang nach dem Kolleg verschwinden, den der Professor Weiß präcis acht Uhr aufschließt, indessen treiben sie lauter Übermuth, wir dachten schon daß sie vielleicht uns zu Ehren die gro¬ ßen Sätze machen von einer Trepp zur andern, einer über des andern Kopf weg, sie können uns zwar nicht sehen weil die Fenster verhängt sind und jetzt auch ge¬
Claudine. — Ich muß die Sonn untergehen laſſen und mich beſinnen auf morgen früh.
Bettine.
Marburg. December.
Heut Morgen bin ich aus dem Bett geſprungen um das Eis mit meinem Hauch zu ſchmelzen. Um halb acht kamen die Studenten dem Berg herauf geju¬ belt, es war noch dämmerig und der Nebel ſo dicht daß ſie wie Schatten blos durchſchimmerten. Die Me¬ line und ich ſehen jeden Morgen mit großem Gaudium wie ſie zu unſerm Profeſſor Weiß ins Kolleg marſchie¬ ren, — ſie können uns nicht ſehen, denn unſre Fenſter ſind hart gefroren, wir ſteigen auf den Tiſch und hau¬ chen an der oberſten Scheibe ein Löchelchen ins Eis wo grad ein Aug durchſehen kann; ein jeder hat ein verſchiednes Abzeichen, treiben ſich immer eine Viertelſtunde herum bis ſie im Gang nach dem Kolleg verſchwinden, den der Profeſſor Weiß präcis acht Uhr aufſchließt, indeſſen treiben ſie lauter Übermuth, wir dachten ſchon daß ſie vielleicht uns zu Ehren die gro¬ ßen Sätze machen von einer Trepp zur andern, einer über des andern Kopf weg, ſie können uns zwar nicht ſehen weil die Fenſter verhängt ſind und jetzt auch ge¬
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Claudine. — Ich muß die Sonn untergehen laſſen und
mich beſinnen auf morgen früh.
Bettine.
Marburg. December.
Heut Morgen bin ich aus dem Bett geſprungen
um das Eis mit meinem Hauch zu ſchmelzen. Um
halb acht kamen die Studenten dem Berg herauf geju¬
belt, es war noch dämmerig und der Nebel ſo dicht
daß ſie wie Schatten blos durchſchimmerten. Die Me¬
line und ich ſehen jeden Morgen mit großem Gaudium
wie ſie zu unſerm Profeſſor Weiß ins Kolleg marſchie¬
ren, — ſie können uns nicht ſehen, denn unſre Fenſter
ſind hart gefroren, wir ſteigen auf den Tiſch und hau¬
chen an der oberſten Scheibe ein Löchelchen ins Eis
wo grad ein Aug durchſehen kann; ein jeder hat
ein verſchiednes Abzeichen, treiben ſich immer eine
Viertelſtunde herum bis ſie im Gang nach dem Kolleg
verſchwinden, den der Profeſſor Weiß präcis acht Uhr
aufſchließt, indeſſen treiben ſie lauter Übermuth, wir
dachten ſchon daß ſie vielleicht uns zu Ehren die gro¬
ßen Sätze machen von einer Trepp zur andern, einer
über des andern Kopf weg, ſie können uns zwar nicht
ſehen weil die Fenſter verhängt ſind und jetzt auch ge¬
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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 2. Grünberg u. a., 1840, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode02_1840/129>, abgerufen am 28.03.2024.
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