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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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Th. IV. Sect. II. Num. XL. David Joris klarer bericht/
[Spaltenumbruch] hülffe seiner seligkeit fühlen/ sintemal das eine
aus dem andern erkant wird. Sehet es nun/
es wird sich also ewig wahr befinden. Daher
Joh. IX.
41.
kommts/ daß der HERR gesagt hat: Wä-
ret ihr blind/ so hättet ihr keine sünde/
nun ihr aber sprecht/ wir sind sehend/ blei-
bet euere sünde.
Sehet/ zu diesem gerichte
oder unterscheidung ist der HERR in die welt
kommen/ damit die jenigen/ die nicht sehen/ se-
hend/ und die da sehen/ blind werden/ das ist/ daß
sie vor erst durch ihn in ihm sollen werde/ was sie
ohne ihn in sich selber nicht sind/ nemlich blind:
und seyn/ was sie vor GOtt nicht sind/ nemlich
sehend/ damit man alles durchs gesichte GOt-
tes gewahr werde/ und gantz blind und arm
am Geiste/ und unverständig in uns selber seyn/
in welchen/ so sie erst die erbarmung GOttes
auffgewecket/ seine liebe/ gunst und gnade zur
besserung einen eingang haben kan/ sonst aber
nimmermehr.

Sehet/ diese werden daher entsündiget/ und
selig genennt/ die arm am Geist oder blind sind;
nicht die es wol mit dem munde bekennen/ son-
dern/ die es mit dem hertzen auß dem verstande
erkennen nach der warheit/ welches ohne das
licht der weißheit zu thun unmüglich ist/ an-
gesehen sich zwar viele blind bekennen/ und
arm am Geist düncken oder berühmen dörffen/
aber nicht recht/ sondern ohne gesicht und mit
unverstand; wiewol das lautbahre wort an
sich selbst (das von dem munde der warheit
schrifftlich gelehret und buchstäblich nachge-
sprochen wird) wahr ist/ aber das nicht/ so auß
des menschen mund und hertzen herkommet/
dann das ist lauter nein und kein ja/ nemlich
lügenhafft und voll betrugs/ weil niemand
auß der warheit reden und sein wort warhafftig
kan bezeuget werden/ als durch den Heiligen
Geist der warheit/ den kein fleisch empfangen
Wir re-
den/ was
wir wis-
sen/ und
zeugen/
was wir
gesehen.
Joh. III.
11.
noch die welt sehen mag. Wer möchte nun
solch vollkommen wort auff sich ziehen/ blind
und arm am Geiste düncken/ als die auß der
ewigen warheit wiedergebohren sind/ und
den einigen Geist CHristi reichlich haben/
nemlich das hohe heilige erkäntnis GOT-
TES/ welches dem menschen durch sich
selbst alle klarheit in der empfindung (sich selbst
zu erkennen) geben muß/ welche aber der
mensch erst durch viele versuchung- und prüffun-
gen in der empfindung bekommt/ also daß
(so jemanden solches nicht in allem begegnet/
geprüffet und erforschet ist) niemand solches
sich berühmen oder düncken lassen mag/ daß
er gerecht und warhafftig/ nicht lügenhafft
und betrüglich in seinem eigenen worte sey. Es
mag auch nicht anders seyn/ nach dem der ab-
gefallene sündliche alte mensch selbst ein lügner
und betrüger ist/ so kan sein wort/ das er
auß ihm selbst vorbringt/ nicht anders seyn
Jud. IIX.
21.
als er selbst ist. Dann nach dem der mann ist/
ist auch sein wort und krafft/ und wie sein wort
und krafft ist/ so ist er auch und eben auch so
der Geist; nicht/ daß er nach seinen worten
mag geschätzet werden/ die er aus einem an-
dern und nicht aus sich selbst vorbringt/ nein/
sonst wäre der teuffel auch warhafftig/ wann
er nach dem laut des worts solte angesehen wer-
den/ welches er auch lehren und wol auß-
sprechen kan mit allen menschen/ die wie sie
auch sind/ die Schrifft (GOTTES wort
[Spaltenumbruch] genennet) buchstäblich gebrauchen/ und gleich-
wol weder besser noch frömmer dardurch wer-
den. Und was wäre mir das/ so ein andererDer
mensch
mag aus
[ei]nes an-
dern wort
weder gut
noch döse
gehalten/
sondern er
muß aus
dem/ was
von ihm
selber
kommt/
geurthei-
let wer-
den.
Zum
gottlosen
spricht
GOtt:
Warum
nimmst
du mein
wort in
deinen
mund.
Psalm L.
Jerem.
XXIII.

reden/ hören/ und wol sehen/ prüffen/ schmecken/
fühlen und empfinden kan/ kan ich es deßwegen
auch wol? oder das ein anderer weiß/ hat und
kan/ hab oder weiß ichs deßwegen auch? stehet
mein ruhm in einem andern/ so mag ich eines
andern tugend oder güte anziehen/ so mag auch
mich ein anderer im bösen anziehen und ihm
gleich nennen? Also hat ein jeder auffs wort
zu mercken und zuzusehen/ was ein jeder sagt;
dann so das nicht ist oder geschicht (wie das
wort außgehet) so kent der mensch sich oder sein
wort selbst nicht. Jsts/ daß er sich selbst nicht
kennt/ so kennt er keinen lügner/ kennt er keinen lüg-
ner/ so kennt er viel weniger die lügen; kennt er die
lügen nicht/ wie kan er die warheit kennen?
kennt er keine warheit/ so ist er ohne GOtt/
gantz eytel/ und kennt auch die warhafftigen
nicht; sintemal wir/ entweder in dem einen
oder andern sollen und müssen erfunden wer-
den/ welches nemlich in dem menschen seine stät-
te/ wohnung/ willen und werck zum guten oder
bösen hat.

Diß aber kommt alles daher/ weil wir an
GOTTES ewigem/ lebendigem wort und
warheit keine lust oder gefallen/ sondern zuviel
vergnügen in der eytelkeit und in uns selber oder
im ansehen der menschen haben. Derohal-
ben bleibet der mensch blind/ eytel und ver-
dammt/ auch voll bezauberungen und lügen-
hafften wesens/ ob ers gleich nicht meynet/ daß
er zu sein selbst erkäntnis nicht kommen/ und sei-
nen eigenen geist nicht kennen kan; angesehen
man nie ohne licht sehen/ und den menschen oh-
ne GOtt kennen mag; Ja das muß ein jeder
bekennen/ daß man das böse nicht ohne das gu-
te/ die lügen nicht ohne die warheit/ die geistli-
che armut ohne den fleischlichen reichthum wis-
sen/ schweige haben könne. Das ist gewißlich
wahr.

Das 8. Capitel.

So dann jemand unter euch den reichthum
deß Geistes liebet/ oder (wie es scheinet) nach
dem höchsten Gut begierig ist (wie ich wol wol-
te/ daß es wahr wäre) so werdet ihr nicht voll-
kömmlich darzu kommen/ es seye dann/ daß
ihr erst euer verderben und boßheit erkennet/
und arm im geist/ das ist/ reich mit schmer-
tzen im fleische seyd. Dann das ists/ das der
HERRJESUS also deßwegen gespro-
chen: Selig sind die armen am Geist/
dann das königreich der himmeln gehö-
ret ihnen zu.
Eben wie der artzt den siechen
oder ungesunden/ das gesichte den blinden/ und
die speise den hungerigen thut. Was aber
arm am Geist seyn ist/ stehet uns das ur-
theil mit verlangen darvon zu wissen wol zu/
damit sich niemand unwissend mehr darinn
verlauffe und nicht düncke das zu seyn/ das
er noch nicht ist/ und desselben unwürdig geach-
tet wir. So höret nun und verstehet: werWer
recht
geistlich
arm ist.

geistlich arm ist/ der ist inwendig Göttlich/
nicht menschlich arm/ nemlich in GOtt arm/
das ist/ unselig/ ohne das höchste Gut/ ohne ei-
nig leben und licht/ ohne weißheit/ erkäntnis
und verstand/ ohne glauben/ hoffnung und liebe/
ohne wahre demuth/ sanfft-und langmuth/ ohne

barm-

Th. IV. Sect. II. Num. XL. David Joris klarer bericht/
[Spaltenumbruch] huͤlffe ſeiner ſeligkeit fuͤhlen/ ſintemal das eine
aus dem andern erkant wird. Sehet es nun/
es wird ſich alſo ewig wahr befinden. Daher
Joh. IX.
41.
kommts/ daß der HERR geſagt hat: Waͤ-
ret ihr blind/ ſo haͤttet ihr keine ſuͤnde/
nun ihr aber ſprecht/ wir ſind ſehend/ blei-
bet euere ſuͤnde.
Sehet/ zu dieſem gerichte
oder unterſcheidung iſt der HERR in die welt
kommen/ damit die jenigen/ die nicht ſehen/ ſe-
hend/ und die da ſehen/ blind werden/ das iſt/ daß
ſie vor erſt durch ihn in ihm ſollen werdē/ was ſie
ohne ihn in ſich ſelber nicht ſind/ nemlich blind:
und ſeyn/ was ſie vor GOtt nicht ſind/ nemlich
ſehend/ damit man alles durchs geſichte GOt-
tes gewahr werde/ und gantz blind und arm
am Geiſte/ und unverſtaͤndig in uns ſelber ſeyn/
in welchen/ ſo ſie erſt die erbarmung GOttes
auffgewecket/ ſeine liebe/ gunſt und gnade zur
beſſerung einen eingang haben kan/ ſonſt aber
nimmermehr.

Sehet/ dieſe werden daher entſuͤndiget/ und
ſelig genennt/ die arm am Geiſt oder blind ſind;
nicht die es wol mit dem munde bekennen/ ſon-
dern/ die es mit dem hertzen auß dem verſtande
erkennen nach der warheit/ welches ohne das
licht der weißheit zu thun unmuͤglich iſt/ an-
geſehen ſich zwar viele blind bekennen/ und
arm am Geiſt duͤncken oder beruͤhmen doͤrffen/
aber nicht recht/ ſondern ohne geſicht und mit
unverſtand; wiewol das lautbahre wort an
ſich ſelbſt (das von dem munde der warheit
ſchrifftlich gelehret und buchſtaͤblich nachge-
ſprochen wird) wahr iſt/ aber das nicht/ ſo auß
des menſchen mund und hertzen herkommet/
dann das iſt lauter nein und kein ja/ nemlich
luͤgenhafft und voll betrugs/ weil niemand
auß der warheit reden und ſein wort warhafftig
kan bezeuget werden/ als durch den Heiligen
Geiſt der warheit/ den kein fleiſch empfangen
Wir re-
den/ was
wir wiſ-
ſen/ und
zeugen/
was wir
geſehen.
Joh. III.
11.
noch die welt ſehen mag. Wer moͤchte nun
ſolch vollkommen wort auff ſich ziehen/ blind
und arm am Geiſte duͤncken/ als die auß der
ewigen warheit wiedergebohren ſind/ und
den einigen Geiſt CHriſti reichlich haben/
nemlich das hohe heilige erkaͤntnis GOT-
TES/ welches dem menſchen durch ſich
ſelbſt alle klarheit in der empfindung (ſich ſelbſt
zu erkennen) geben muß/ welche aber der
menſch erſt durch viele verſuchung- und pruͤffun-
gen in der empfindung bekommt/ alſo daß
(ſo jemanden ſolches nicht in allem begegnet/
gepruͤffet und erforſchet iſt) niemand ſolches
ſich beruͤhmen oder duͤncken laſſen mag/ daß
er gerecht und warhafftig/ nicht luͤgenhafft
und betruͤglich in ſeinem eigenen worte ſey. Es
mag auch nicht anders ſeyn/ nach dem der ab-
gefallene ſuͤndliche alte menſch ſelbſt ein luͤgner
und betruͤger iſt/ ſo kan ſein wort/ das er
auß ihm ſelbſt vorbringt/ nicht anders ſeyn
Jud. IIX.
21.
als er ſelbſt iſt. Dann nach dem der mann iſt/
iſt auch ſein wort und krafft/ und wie ſein wort
und krafft iſt/ ſo iſt er auch und eben auch ſo
der Geiſt; nicht/ daß er nach ſeinen worten
mag geſchaͤtzet werden/ die er aus einem an-
dern und nicht aus ſich ſelbſt vorbringt/ nein/
ſonſt waͤre der teuffel auch warhafftig/ wann
er nach dem laut des worts ſolte angeſehen wer-
den/ welches er auch lehren und wol auß-
ſprechen kan mit allen menſchen/ die wie ſie
auch ſind/ die Schrifft (GOTTES wort
[Spaltenumbruch] genennet) buchſtaͤblich gebrauchen/ und gleich-
wol weder beſſer noch froͤmmer dardurch wer-
den. Und was waͤre mir das/ ſo ein andererDer
menſch
mag aus
[ei]nes an-
dern wort
weder gut
noch doͤſe
gehalten/
ſondern er
muß aus
dem/ was
von ihm
ſelber
kommt/
geurthei-
let wer-
den.
Zum
gottloſen
ſpricht
GOtt:
Warum
nimmſt
du mein
wort in
deinen
mund.
Pſalm L.
Jerem.
XXIII.

reden/ hoͤren/ und wol ſehen/ pruͤffen/ ſchmecken/
fuͤhlen und empfinden kan/ kan ich es deßwegen
auch wol? oder das ein anderer weiß/ hat und
kan/ hab oder weiß ichs deßwegen auch? ſtehet
mein ruhm in einem andern/ ſo mag ich eines
andern tugend oder guͤte anziehen/ ſo mag auch
mich ein anderer im boͤſen anziehen und ihm
gleich nennen? Alſo hat ein jeder auffs wort
zu mercken und zuzuſehen/ was ein jeder ſagt;
dann ſo das nicht iſt oder geſchicht (wie das
wort außgehet) ſo kent der menſch ſich oder ſein
wort ſelbſt nicht. Jſts/ daß er ſich ſelbſt nicht
keñt/ ſo kennt er keinen luͤgner/ keñt er keinen luͤg-
ner/ ſo keñt er viel weniger die luͤgen; kennt er die
luͤgen nicht/ wie kan er die warheit kennen?
kennt er keine warheit/ ſo iſt er ohne GOtt/
gantz eytel/ und kennt auch die warhafftigen
nicht; ſintemal wir/ entweder in dem einen
oder andern ſollen und muͤſſen erfunden wer-
den/ welches nemlich in dem menſchen ſeine ſtaͤt-
te/ wohnung/ willen und werck zum guten oder
boͤſen hat.

Diß aber kommt alles daher/ weil wir an
GOTTES ewigem/ lebendigem wort und
warheit keine luſt oder gefallen/ ſondern zuviel
vergnuͤgen in der eytelkeit und in uns ſelber oder
im anſehen der menſchen haben. Derohal-
ben bleibet der menſch blind/ eytel und ver-
dammt/ auch voll bezauberungen und luͤgen-
hafften weſens/ ob ers gleich nicht meynet/ daß
er zu ſein ſelbſt erkaͤntnis nicht kom̃en/ und ſei-
nen eigenen geiſt nicht kennen kan; angeſehen
man nie ohne licht ſehen/ und den menſchen oh-
ne GOtt kennen mag; Ja das muß ein jeder
bekennen/ daß man das boͤſe nicht ohne das gu-
te/ die luͤgen nicht ohne die warheit/ die geiſtli-
che armut ohne den fleiſchlichen reichthum wiſ-
ſen/ ſchweige haben koͤnne. Das iſt gewißlich
wahr.

Das 8. Capitel.

So dann jemand unter euch den reichthum
deß Geiſtes liebet/ oder (wie es ſcheinet) nach
dem hoͤchſten Gut begierig iſt (wie ich wol wol-
te/ daß es wahr waͤre) ſo werdet ihr nicht voll-
koͤmmlich darzu kommen/ es ſeye dann/ daß
ihr erſt euer verderben und boßheit erkennet/
und arm im geiſt/ das iſt/ reich mit ſchmer-
tzen im fleiſche ſeyd. Dann das iſts/ das der
HERRJESUS alſo deßwegen geſpro-
chen: Selig ſind die armen am Geiſt/
dann das koͤnigreich der himmeln gehoͤ-
ret ihnen zu.
Eben wie der artzt den ſiechen
oder ungeſunden/ das geſichte den blinden/ und
die ſpeiſe den hungerigen thut. Was aber
arm am Geiſt ſeyn iſt/ ſtehet uns das ur-
theil mit verlangen darvon zu wiſſen wol zu/
damit ſich niemand unwiſſend mehr darinn
verlauffe und nicht duͤncke das zu ſeyn/ das
er noch nicht iſt/ und deſſelben unwuͤrdig geach-
tet wir. So hoͤret nun und verſtehet: werWer
recht
geiſtlich
arm iſt.

geiſtlich arm iſt/ der iſt inwendig Goͤttlich/
nicht menſchlich arm/ nemlich in GOtt arm/
das iſt/ unſelig/ ohne das hoͤchſte Gut/ ohne ei-
nig leben und licht/ ohne weißheit/ erkaͤntnis
uñ verſtand/ ohne glauben/ hoffnung und liebe/
ohne wahre demuth/ ſanfft-uñ langmuth/ ohne

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[318/0614] Th. IV. Sect. II. Num. XL. David Joris klarer bericht/ huͤlffe ſeiner ſeligkeit fuͤhlen/ ſintemal das eine aus dem andern erkant wird. Sehet es nun/ es wird ſich alſo ewig wahr befinden. Daher kommts/ daß der HERR geſagt hat: Waͤ- ret ihr blind/ ſo haͤttet ihr keine ſuͤnde/ nun ihr aber ſprecht/ wir ſind ſehend/ blei- bet euere ſuͤnde. Sehet/ zu dieſem gerichte oder unterſcheidung iſt der HERR in die welt kommen/ damit die jenigen/ die nicht ſehen/ ſe- hend/ und die da ſehen/ blind werden/ das iſt/ daß ſie vor erſt durch ihn in ihm ſollen werdē/ was ſie ohne ihn in ſich ſelber nicht ſind/ nemlich blind: und ſeyn/ was ſie vor GOtt nicht ſind/ nemlich ſehend/ damit man alles durchs geſichte GOt- tes gewahr werde/ und gantz blind und arm am Geiſte/ und unverſtaͤndig in uns ſelber ſeyn/ in welchen/ ſo ſie erſt die erbarmung GOttes auffgewecket/ ſeine liebe/ gunſt und gnade zur beſſerung einen eingang haben kan/ ſonſt aber nimmermehr. Joh. IX. 41. Sehet/ dieſe werden daher entſuͤndiget/ und ſelig genennt/ die arm am Geiſt oder blind ſind; nicht die es wol mit dem munde bekennen/ ſon- dern/ die es mit dem hertzen auß dem verſtande erkennen nach der warheit/ welches ohne das licht der weißheit zu thun unmuͤglich iſt/ an- geſehen ſich zwar viele blind bekennen/ und arm am Geiſt duͤncken oder beruͤhmen doͤrffen/ aber nicht recht/ ſondern ohne geſicht und mit unverſtand; wiewol das lautbahre wort an ſich ſelbſt (das von dem munde der warheit ſchrifftlich gelehret und buchſtaͤblich nachge- ſprochen wird) wahr iſt/ aber das nicht/ ſo auß des menſchen mund und hertzen herkommet/ dann das iſt lauter nein und kein ja/ nemlich luͤgenhafft und voll betrugs/ weil niemand auß der warheit reden und ſein wort warhafftig kan bezeuget werden/ als durch den Heiligen Geiſt der warheit/ den kein fleiſch empfangen noch die welt ſehen mag. Wer moͤchte nun ſolch vollkommen wort auff ſich ziehen/ blind und arm am Geiſte duͤncken/ als die auß der ewigen warheit wiedergebohren ſind/ und den einigen Geiſt CHriſti reichlich haben/ nemlich das hohe heilige erkaͤntnis GOT- TES/ welches dem menſchen durch ſich ſelbſt alle klarheit in der empfindung (ſich ſelbſt zu erkennen) geben muß/ welche aber der menſch erſt durch viele verſuchung- und pruͤffun- gen in der empfindung bekommt/ alſo daß (ſo jemanden ſolches nicht in allem begegnet/ gepruͤffet und erforſchet iſt) niemand ſolches ſich beruͤhmen oder duͤncken laſſen mag/ daß er gerecht und warhafftig/ nicht luͤgenhafft und betruͤglich in ſeinem eigenen worte ſey. Es mag auch nicht anders ſeyn/ nach dem der ab- gefallene ſuͤndliche alte menſch ſelbſt ein luͤgner und betruͤger iſt/ ſo kan ſein wort/ das er auß ihm ſelbſt vorbringt/ nicht anders ſeyn als er ſelbſt iſt. Dann nach dem der mann iſt/ iſt auch ſein wort und krafft/ und wie ſein wort und krafft iſt/ ſo iſt er auch und eben auch ſo der Geiſt; nicht/ daß er nach ſeinen worten mag geſchaͤtzet werden/ die er aus einem an- dern und nicht aus ſich ſelbſt vorbringt/ nein/ ſonſt waͤre der teuffel auch warhafftig/ wann er nach dem laut des worts ſolte angeſehen wer- den/ welches er auch lehren und wol auß- ſprechen kan mit allen menſchen/ die wie ſie auch ſind/ die Schrifft (GOTTES wort genennet) buchſtaͤblich gebrauchen/ und gleich- wol weder beſſer noch froͤmmer dardurch wer- den. Und was waͤre mir das/ ſo ein anderer reden/ hoͤren/ und wol ſehen/ pruͤffen/ ſchmecken/ fuͤhlen und empfinden kan/ kan ich es deßwegen auch wol? oder das ein anderer weiß/ hat und kan/ hab oder weiß ichs deßwegen auch? ſtehet mein ruhm in einem andern/ ſo mag ich eines andern tugend oder guͤte anziehen/ ſo mag auch mich ein anderer im boͤſen anziehen und ihm gleich nennen? Alſo hat ein jeder auffs wort zu mercken und zuzuſehen/ was ein jeder ſagt; dann ſo das nicht iſt oder geſchicht (wie das wort außgehet) ſo kent der menſch ſich oder ſein wort ſelbſt nicht. Jſts/ daß er ſich ſelbſt nicht keñt/ ſo kennt er keinen luͤgner/ keñt er keinen luͤg- ner/ ſo keñt er viel weniger die luͤgen; kennt er die luͤgen nicht/ wie kan er die warheit kennen? kennt er keine warheit/ ſo iſt er ohne GOtt/ gantz eytel/ und kennt auch die warhafftigen nicht; ſintemal wir/ entweder in dem einen oder andern ſollen und muͤſſen erfunden wer- den/ welches nemlich in dem menſchen ſeine ſtaͤt- te/ wohnung/ willen und werck zum guten oder boͤſen hat. Wir re- den/ was wir wiſ- ſen/ und zeugen/ was wir geſehen. Joh. III. 11. Jud. IIX. 21. Der menſch mag aus eines an- dern wort weder gut noch doͤſe gehalten/ ſondern er muß aus dem/ was von ihm ſelber kommt/ geurthei- let wer- den. Zum gottloſen ſpricht GOtt: Warum nimmſt du mein wort in deinen mund. Pſalm L. Jerem. XXIII. Diß aber kommt alles daher/ weil wir an GOTTES ewigem/ lebendigem wort und warheit keine luſt oder gefallen/ ſondern zuviel vergnuͤgen in der eytelkeit und in uns ſelber oder im anſehen der menſchen haben. Derohal- ben bleibet der menſch blind/ eytel und ver- dammt/ auch voll bezauberungen und luͤgen- hafften weſens/ ob ers gleich nicht meynet/ daß er zu ſein ſelbſt erkaͤntnis nicht kom̃en/ und ſei- nen eigenen geiſt nicht kennen kan; angeſehen man nie ohne licht ſehen/ und den menſchen oh- ne GOtt kennen mag; Ja das muß ein jeder bekennen/ daß man das boͤſe nicht ohne das gu- te/ die luͤgen nicht ohne die warheit/ die geiſtli- che armut ohne den fleiſchlichen reichthum wiſ- ſen/ ſchweige haben koͤnne. Das iſt gewißlich wahr. Das 8. Capitel. So dann jemand unter euch den reichthum deß Geiſtes liebet/ oder (wie es ſcheinet) nach dem hoͤchſten Gut begierig iſt (wie ich wol wol- te/ daß es wahr waͤre) ſo werdet ihr nicht voll- koͤmmlich darzu kommen/ es ſeye dann/ daß ihr erſt euer verderben und boßheit erkennet/ und arm im geiſt/ das iſt/ reich mit ſchmer- tzen im fleiſche ſeyd. Dann das iſts/ das der HERRJESUS alſo deßwegen geſpro- chen: Selig ſind die armen am Geiſt/ dann das koͤnigreich der himmeln gehoͤ- ret ihnen zu. Eben wie der artzt den ſiechen oder ungeſunden/ das geſichte den blinden/ und die ſpeiſe den hungerigen thut. Was aber arm am Geiſt ſeyn iſt/ ſtehet uns das ur- theil mit verlangen darvon zu wiſſen wol zu/ damit ſich niemand unwiſſend mehr darinn verlauffe und nicht duͤncke das zu ſeyn/ das er noch nicht iſt/ und deſſelben unwuͤrdig geach- tet wir. So hoͤret nun und verſtehet: wer geiſtlich arm iſt/ der iſt inwendig Goͤttlich/ nicht menſchlich arm/ nemlich in GOtt arm/ das iſt/ unſelig/ ohne das hoͤchſte Gut/ ohne ei- nig leben und licht/ ohne weißheit/ erkaͤntnis uñ verſtand/ ohne glauben/ hoffnung und liebe/ ohne wahre demuth/ ſanfft-uñ langmuth/ ohne barm- Wer recht geiſtlich arm iſt.

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/614>, abgerufen am 28.03.2024.