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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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zu erwecken: es ist der Klang der Stimme des Abgeschiedenen, nur ein Ton von außen ruft ihn wach. Und wie jetzt Diethelm die Bruderstimme hörte, drang sie ihm ins Herz, so daß plötzlich alles Verborgene und gewaltsam Zurückgedrängte vor ihm stand.

Diethelm faßte sich und sagte endlich, das Papier niederlegend und sich zurücklehnend:

Was willst du jetzt anfangen, Munde?

Ich werd' schon sehen, antwortete Munde und grüßte soldatenmäßig. Diethelm aber rief ihm noch nach:

Komm zu mir ins Waldhorn, Munde, ich hab' dir was Gutes zu sagen.

Das Gescheiteste wär', du gäbst ihm dein' Fränz, sagte der Schmied hinter dem Weggegangenen, sie haben sich von je gern gehabt, und es schickt sich g'rad für dich. Einem, der nichts hat, deine Tochter zu geben, und einen bräveren und schöneren Tochtermann kannst du nicht kriegen.

Diethelm schwieg und nahm die Gemeindeverhandlungen wieder auf. Am Mittage erzählte er seiner Frau, daß er den Munde herbestellt habe, und es sei wohl möglich, daß er seinen Vorsatz ausführe und ihm die Fränz gebe. Martha war glückselig mit diesem Vorhaben und sagte, daß dann gewiß wieder Alles gut werde, und daß auch die Seele des verstorbenen Medard Ruhe haben werde, wenn sein liebster Wunsch erfüllt sei. Diethelm nickte zufrieden, aber drei Tage lang ließ sich Munde nicht sehen, und Diethelm war voll Zorn gegen ihn und verbot Frau und Tochter ein Wort "mit dem Bettelbuben" zu reden. In sich aber überdachte er, daß es wohl klüger sei, dem Munde die Fränz nicht zu geben, diese Großmuth konnte leicht verdächtig erscheinen und als Gewissensangst gedeutet werden, und doch muthete ihn der Gedanke einer Sühne in Erfüllung des Versprechens gegen den Todten tröstlich an. Dann ist ja nichts geschehen -- sagte er sich -- als ein paar Jahre verkürzt, und das hätte sich der Medard gerne gefallen lassen, für das, was

zu erwecken: es ist der Klang der Stimme des Abgeschiedenen, nur ein Ton von außen ruft ihn wach. Und wie jetzt Diethelm die Bruderstimme hörte, drang sie ihm ins Herz, so daß plötzlich alles Verborgene und gewaltsam Zurückgedrängte vor ihm stand.

Diethelm faßte sich und sagte endlich, das Papier niederlegend und sich zurücklehnend:

Was willst du jetzt anfangen, Munde?

Ich werd' schon sehen, antwortete Munde und grüßte soldatenmäßig. Diethelm aber rief ihm noch nach:

Komm zu mir ins Waldhorn, Munde, ich hab' dir was Gutes zu sagen.

Das Gescheiteste wär', du gäbst ihm dein' Fränz, sagte der Schmied hinter dem Weggegangenen, sie haben sich von je gern gehabt, und es schickt sich g'rad für dich. Einem, der nichts hat, deine Tochter zu geben, und einen bräveren und schöneren Tochtermann kannst du nicht kriegen.

Diethelm schwieg und nahm die Gemeindeverhandlungen wieder auf. Am Mittage erzählte er seiner Frau, daß er den Munde herbestellt habe, und es sei wohl möglich, daß er seinen Vorsatz ausführe und ihm die Fränz gebe. Martha war glückselig mit diesem Vorhaben und sagte, daß dann gewiß wieder Alles gut werde, und daß auch die Seele des verstorbenen Medard Ruhe haben werde, wenn sein liebster Wunsch erfüllt sei. Diethelm nickte zufrieden, aber drei Tage lang ließ sich Munde nicht sehen, und Diethelm war voll Zorn gegen ihn und verbot Frau und Tochter ein Wort „mit dem Bettelbuben“ zu reden. In sich aber überdachte er, daß es wohl klüger sei, dem Munde die Fränz nicht zu geben, diese Großmuth konnte leicht verdächtig erscheinen und als Gewissensangst gedeutet werden, und doch muthete ihn der Gedanke einer Sühne in Erfüllung des Versprechens gegen den Todten tröstlich an. Dann ist ja nichts geschehen — sagte er sich — als ein paar Jahre verkürzt, und das hätte sich der Medard gerne gefallen lassen, für das, was

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[0157] zu erwecken: es ist der Klang der Stimme des Abgeschiedenen, nur ein Ton von außen ruft ihn wach. Und wie jetzt Diethelm die Bruderstimme hörte, drang sie ihm ins Herz, so daß plötzlich alles Verborgene und gewaltsam Zurückgedrängte vor ihm stand. Diethelm faßte sich und sagte endlich, das Papier niederlegend und sich zurücklehnend: Was willst du jetzt anfangen, Munde? Ich werd' schon sehen, antwortete Munde und grüßte soldatenmäßig. Diethelm aber rief ihm noch nach: Komm zu mir ins Waldhorn, Munde, ich hab' dir was Gutes zu sagen. Das Gescheiteste wär', du gäbst ihm dein' Fränz, sagte der Schmied hinter dem Weggegangenen, sie haben sich von je gern gehabt, und es schickt sich g'rad für dich. Einem, der nichts hat, deine Tochter zu geben, und einen bräveren und schöneren Tochtermann kannst du nicht kriegen. Diethelm schwieg und nahm die Gemeindeverhandlungen wieder auf. Am Mittage erzählte er seiner Frau, daß er den Munde herbestellt habe, und es sei wohl möglich, daß er seinen Vorsatz ausführe und ihm die Fränz gebe. Martha war glückselig mit diesem Vorhaben und sagte, daß dann gewiß wieder Alles gut werde, und daß auch die Seele des verstorbenen Medard Ruhe haben werde, wenn sein liebster Wunsch erfüllt sei. Diethelm nickte zufrieden, aber drei Tage lang ließ sich Munde nicht sehen, und Diethelm war voll Zorn gegen ihn und verbot Frau und Tochter ein Wort „mit dem Bettelbuben“ zu reden. In sich aber überdachte er, daß es wohl klüger sei, dem Munde die Fränz nicht zu geben, diese Großmuth konnte leicht verdächtig erscheinen und als Gewissensangst gedeutet werden, und doch muthete ihn der Gedanke einer Sühne in Erfüllung des Versprechens gegen den Todten tröstlich an. Dann ist ja nichts geschehen — sagte er sich — als ein paar Jahre verkürzt, und das hätte sich der Medard gerne gefallen lassen, für das, was

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Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/157>, abgerufen am 25.04.2024.