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Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Von Fränz war ein Brief aus der Kreisstadt gekommen; sie hielt sich dort bei den Eltern ihres Bräutigams auf, hatte die Todesnachricht erfahren und fragte, ob sie nun dennoch heimkommen solle, und wenn dies der Vater wünsche, möge er ihr Jemand zum Geleite schicken, da es nicht mehr für sie passe, allein zu reisen. Dieser Brief war für Diethelm voll Betrübniß, er sah darin aufs Neue die Herzlosigkeit seines Kindes, das nicht über Alles hinweg zu ihm eilte, um ihn nicht allein seinem Schmerze zu überlassen und am Grabe der Mutter mit zu weinen. Ja, Diethelm fühlte, daß er in seiner Frau nicht nur eine treue Ehegenossin, sondern auch eine mütterliche Sorgfalt verloren, die allezeit fest und unbeirrt ihm sich zuwendete. Er ging im Dorfe mitten unter den Menschen umher wie ein in Waldesdunkel verirrtes Kind, so verlassen, so hülflos erschien er sich. Was nützte ihm all die Ehrerbietung und zuthuliche Theilnahme der Menschen? Das waren doch nur Bettelpfennige, die man dem Hülflosen am Wege zuwirft, und ein Jedes ging schließlich doch seinem eigenen Lebenskreise und seiner Lustbarkeit nach und ließ ihn mit sich allein. Mit der jungen Frau Kübler zankte Diethelm stets, sie machte ihm nichts recht, das war Alles anders gewesen zu Lebzeiten der Meisterin.

Der Vetter Waldhornwirth hatte ihn gar noch gekränkt, denn als ihm Diethelm über das herzlose Wesen der Fränz Klage führte, hatte er gesagt:

Ich wüßt', was ich thät', das hoffährtige Mädchen bekäme mir eine junge Mutter. Ihr seid ein Mann in den besten Jahren, und ich will für Euch freiwerben, ich weiß, wo ich anklopfe, wird mir aufgemacht, ein neues Haus und eine neue Frau.

Diethelm schrieb der Fränz, sie solle an einem bestimmten Tag in der Kreisstadt seiner warten, und er bereitete nun

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Von Fränz war ein Brief aus der Kreisstadt gekommen; sie hielt sich dort bei den Eltern ihres Bräutigams auf, hatte die Todesnachricht erfahren und fragte, ob sie nun dennoch heimkommen solle, und wenn dies der Vater wünsche, möge er ihr Jemand zum Geleite schicken, da es nicht mehr für sie passe, allein zu reisen. Dieser Brief war für Diethelm voll Betrübniß, er sah darin aufs Neue die Herzlosigkeit seines Kindes, das nicht über Alles hinweg zu ihm eilte, um ihn nicht allein seinem Schmerze zu überlassen und am Grabe der Mutter mit zu weinen. Ja, Diethelm fühlte, daß er in seiner Frau nicht nur eine treue Ehegenossin, sondern auch eine mütterliche Sorgfalt verloren, die allezeit fest und unbeirrt ihm sich zuwendete. Er ging im Dorfe mitten unter den Menschen umher wie ein in Waldesdunkel verirrtes Kind, so verlassen, so hülflos erschien er sich. Was nützte ihm all die Ehrerbietung und zuthuliche Theilnahme der Menschen? Das waren doch nur Bettelpfennige, die man dem Hülflosen am Wege zuwirft, und ein Jedes ging schließlich doch seinem eigenen Lebenskreise und seiner Lustbarkeit nach und ließ ihn mit sich allein. Mit der jungen Frau Kübler zankte Diethelm stets, sie machte ihm nichts recht, das war Alles anders gewesen zu Lebzeiten der Meisterin.

Der Vetter Waldhornwirth hatte ihn gar noch gekränkt, denn als ihm Diethelm über das herzlose Wesen der Fränz Klage führte, hatte er gesagt:

Ich wüßt', was ich thät', das hoffährtige Mädchen bekäme mir eine junge Mutter. Ihr seid ein Mann in den besten Jahren, und ich will für Euch freiwerben, ich weiß, wo ich anklopfe, wird mir aufgemacht, ein neues Haus und eine neue Frau.

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[0216] Neunundzwanzigstes Kapitel. Von Fränz war ein Brief aus der Kreisstadt gekommen; sie hielt sich dort bei den Eltern ihres Bräutigams auf, hatte die Todesnachricht erfahren und fragte, ob sie nun dennoch heimkommen solle, und wenn dies der Vater wünsche, möge er ihr Jemand zum Geleite schicken, da es nicht mehr für sie passe, allein zu reisen. Dieser Brief war für Diethelm voll Betrübniß, er sah darin aufs Neue die Herzlosigkeit seines Kindes, das nicht über Alles hinweg zu ihm eilte, um ihn nicht allein seinem Schmerze zu überlassen und am Grabe der Mutter mit zu weinen. Ja, Diethelm fühlte, daß er in seiner Frau nicht nur eine treue Ehegenossin, sondern auch eine mütterliche Sorgfalt verloren, die allezeit fest und unbeirrt ihm sich zuwendete. Er ging im Dorfe mitten unter den Menschen umher wie ein in Waldesdunkel verirrtes Kind, so verlassen, so hülflos erschien er sich. Was nützte ihm all die Ehrerbietung und zuthuliche Theilnahme der Menschen? Das waren doch nur Bettelpfennige, die man dem Hülflosen am Wege zuwirft, und ein Jedes ging schließlich doch seinem eigenen Lebenskreise und seiner Lustbarkeit nach und ließ ihn mit sich allein. Mit der jungen Frau Kübler zankte Diethelm stets, sie machte ihm nichts recht, das war Alles anders gewesen zu Lebzeiten der Meisterin. Der Vetter Waldhornwirth hatte ihn gar noch gekränkt, denn als ihm Diethelm über das herzlose Wesen der Fränz Klage führte, hatte er gesagt: Ich wüßt', was ich thät', das hoffährtige Mädchen bekäme mir eine junge Mutter. Ihr seid ein Mann in den besten Jahren, und ich will für Euch freiwerben, ich weiß, wo ich anklopfe, wird mir aufgemacht, ein neues Haus und eine neue Frau. Diethelm schrieb der Fränz, sie solle an einem bestimmten Tag in der Kreisstadt seiner warten, und er bereitete nun

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T13:04:01Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T13:04:01Z)

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Zitationshilfe: Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/216>, abgerufen am 16.04.2024.